Partizipation von Mitarbeitern : Demokratie im Büro
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Den Chef wählen – kann das funktionieren? Bild: Picture-Alliance
Agil werden und Hierarchien abbauen, das wollen viele Unternehmen. Aber wie viel Demokratie funktioniert überhaupt in Betrieben – und ist sie krisentauglich?
Wenn man in seinem Unternehmen den inoffiziellen Titel „Heldin der Corona-Zeit“ verliehen bekommt, dann hat man möglicherweise einiges richtig gemacht. So wie Verena Köppel. Sie ist 37 Jahre alt und arbeitet seit fast zehn Jahren für Haufe-Umantis im schweizerischen St. Gallen. Umantis ist die Personalsoftware-Sparte der Haufe-Gruppe, die HR-Dienstleistungen anbietet und Fachliteratur verlegt. Dort kümmert sich Köppel normalerweise um Rekrutierung, Kulturarbeit und Transformationsprozesse. Nun aber hat sie „die gesamte Corona-Organisation in die Hand genommen“, sagt Hermann Arnold, Mitgründer und Mitgeschäftsführer von Haufe-Umantis. „Sie hat diese Krise hier bei uns als Erste kommen sehen, rechtzeitig Maßnahmen ergriffen und – viel früher als die meisten anderen Unternehmen es taten – alle Mitarbeiter ins Homeoffice geschickt.“ Das Ungewöhnliche: Verena Köppel ist weder für Gesundheitsmanagement zuständig noch hat sie eine Führungsposition. Sie ist, wie Arnold es formuliert, eine „einfache Mitarbeiterin“.
Dass „einfache Mitarbeiter“ Knall auf Fall bestimmte Führungsaufgaben übernehmen können, liegt daran, dass Haufe-Umantis ein demokratisch geführtes Unternehmen ist, jedenfalls so weit innerhalb der Strukturen der Gesamtunternehmensgruppe möglich. „Was Verena Köppel in der Corona-Krise getan hat, das hätte bei uns auch eine Reinigungskraft oder ein Lehrling anstoßen können“, sagt Arnold. Dieses System heißt „Advice-Prozess“: „Jeder, egal ob Führungskraft oder nicht, darf im Unternehmen alles entscheiden, jedes Thema setzen oder besetzen“, erklärt Arnold. „Er muss dabei nur zwei Regeln einhalten: Personen um Rat fragen, die sich mit der Materie auskennen, egal ob intern oder extern. Und alle, die im Unternehmen bedeutsam von der Entscheidung betroffen sind, dazu anhören.“
In der Corona-Krise habe das ganz hervorragend funktioniert. „Ich habe einen Kanal bei Microsoft Teams gestartet“, berichtet Köppel. „Darin konnten dann alle Mitarbeiter ihre Meinung äußern: Gehen wir erst geschlossen ins Homeoffice, wenn wir den ersten Fall haben? Oder schon vorher?“ Geholfen hat ihr sicherlich auch, dass Umantis schon von jeher modernen Arbeitsweisen gegenüber sehr aufgeschlossen war. Auch vor Corona konnte jeder frei entscheiden, ob er zu Hause oder im Betrieb arbeiten wollte. Die Bürozentrale in einem schick renovierten Altbau in der St. Gallener Innenstadt lockt mit Liegestuhl-Ecken, selbst bemalten Wänden, Tischtennisplatten und einer langen Bar, um beim Kaffee zu entspannen.
Trotz oder gerade wegen dieser Atmosphäre war es schon eine gehörige Umstellung, als ab Anfang März alle Räume plötzlich komplett leer waren und die etwa 200 Personen starke Mannschaft zunächst nur noch dezentral arbeitete. Hermann Arnold ist aber voll des Lobes. „Die Zufriedenheit der Mitarbeiter mit dem Corona-Krisenmanagement ist super“, sagt er. „Mit der Kommunikation, mit der Beteiligung, damit, dass wir hier keinen einzigen Corona-Fall hatten. Das zeigt uns, dass Demokratie im Unternehmen funktioniert und in der Krise effizient sein kann.“
Hierarchien abbauen, mehr Mitspracherechte für Mitarbeiter schaffen, in agilen Strukturen wechselnde Köpfe zu temporären Leitfiguren ernennen – all das lag schon weit vor der Corona-Krise im Trend; die Pioniere stammen sogar schon aus den neunziger Jahren: Der Brasilianer Ricardo Semler mit seinem Unternehmen Semco etwa; sein Buch „Das Semco System“ propagiert eine radikale Demokratisierung von Unternehmen. Jeff Sutherland, ein Softwareentwickler, der als Mitbegründer der Projektmanagementmethode „Scrum“ gilt, hatte seine Ideen ebenfalls in den Neunzigern.