Sind wir doch mal ehrlich: Kaum jemand möchte dem Vorgesetzten wirklich preisgeben, was genau er oder sie den ganzen Tag über gemacht hat. Wie oft man zur Kaffeeküche spaziert, über welchen Kollegen man sich vielleicht gerade ärgert oder wie weit man mit dem Projekt in der Woche tatsächlich gekommen ist – das wird höchstens per Flurfunk weiterverbreitet. Und wenn es doch mal etwas geben sollte, das den Chef zu interessieren hat, reicht ein Anruf, eine E-Mail, oder man schaut mal eben in seinem Büro vorbei. So jedenfalls die Idealvorstellung von der Kommunikation zwischen Angestellten und ihren Vorgesetzten.
Studien haben herausgefunden, dass nur 14 Prozent aller Angestellten in Westeuropa in ihrer Arbeit aufgehen. Fast zwei Drittel stehen ihrer Arbeit dagegen unbeteiligt gegenüber. Dienst nach Vorschrift nennt man das wohl im besten Fall. Doch wie passt das mit Zahlen zusammen, nach denen sich die meisten Beschäftigten in Deutschland eher unter- als überfordert fühlen?
Eine App soll dieser Diskrepanz nun auf den Grund gehen. Mit Hilfe einfacher Parameter bestimmt das Programm „Plause“ die Zufriedenheit der Mitarbeiter mit ihrer Arbeit und ihren wöchentlichen Aufgaben. Das soll nicht nur die Stimmung in den Teams heben, weil man sich mehr wahrgenommen und wertgeschätzt fühlt. Die App soll vielmehr vor allem die Produktivität steigern. Der zählbare Verlust von Unternehmen, den die mangelnde Identifikation der Mitarbeiter mit ihren Aufgaben verursacht, lässt sich nur schwer beziffern. Noch schwieriger einzuschätzen sind die persönlichen, emotionalen Folgen für die Angestellten. Doch der Plause-Gründer José Benitez Cong und sein Team sind überzeugt: Der Schaden dürfte in die Milliarden gehen.
Die Zufriedenheit der Beschäftigten ist wichtig fürs Produkt
Mit der Kommunikation hapert es vielerorts. Das hat Cong ausgerechnet in so hippen Unternehmen wie Apple und Google Nest erfahren. Dort arbeitete er jahrelang in den Personalabteilungen und erlebte, wie schwierig der ehrliche und direkte Informationsaustausch zwischen unterschiedlichen Führungsebenen ist. Cong war beispielsweise verantwortlich dafür, in den frühen Zeiten von iPod und iPhone für Apple die besten Ingenieure anzuwerben. Dabei hat er nach eigener Auskunft gelernt, wie wichtig die Zufriedenheit der Beschäftigten für die Qualität des Endprodukts ist. Seine App bietet er nun Firmen an, die genau auf diesem Gebiet etwas verbessern wollen.
Zu den Testern der ersten Stunde gehört Roland Hess, Leiter des Arbeitsbereichs „Transformation“ im deutschen Energiekonzern Innogy. Seine Mitarbeiter haben ihre Arbeitsplätze nicht in einem bestimmten Gebäude in einer bestimmten Etage, sondern rund um die Welt verteilt. Für den Chef ist es da schwierig, die Stimmung einzuschätzen und zu merken, was den Mitarbeitern gerade fehlt. Plause soll dabei helfen. Anstelle einer klassischen Mitarbeiterbefragung, die einmal im Jahr stattfindet und deren Auswertung lange dauert, stellt die App den Mitarbeitern jeden Tag eine Frage. „Man erhält eine Art Livestream über das Befinden des Teams“, erklärt Hess. Zudem können seine Angestellten in der App montags ihre Ziele für die Woche eingeben, mittwochs einen Zwischenstand mit ihren Bedenken formulieren und freitags Bilanz ziehen, was sie erreicht haben.
Auf die Bedenken kann der Vorgesetzte dann direkt reagieren. Entweder er klickt auf „Danke Schön“, dann weiß der Mitarbeiter, dass die Rückmeldung angekommen ist. Oder er wählt „Lass uns reden“ und sucht anschließend das persönliche Gespräch. „Ich kann so viel schneller auf die Sorgen meines Teams eingehen“, sagt Hess. Ohne die App, glaubt er, würde es gerade bei introvertierten Mitarbeitern sehr viel länger dauern, bis sie ihr Problem tatsächlich äußerten.
Natürlich ist nicht jeder von der Idee begeistert. Gerade in Deutschland ist der Datenschutz ein wichtiges Thema. Das Misstrauen ist teilweise groß. In deutschen Unternehmen muss zuerst der Betriebsrat zustimmen, wenn ein solches Werkzeug eingeführt werden soll. Bislang hat Innogy hierzulande noch keine Freigabe dafür bekommen. Daher nutzt Hess die App vor allem in Polen, den Niederlanden oder der Slowakei. Innogy ist trotz der Hürden im Heimatland schon so überzeugt von der Idee, dass der Konzern gleich als Investor in das amerikanische Start-up eingestiegen ist. Genaue Zahlen, ob die App die Produktivität tatsächlich steigert, liegen noch nicht vor. Aber Roland Hess sagt, er sei überzeugt davon, dass die Plattform die Identifikation der Mitarbeiter mit ihrer Arbeit fördert – und darüber dann auch ihre Produktivität.