Frauen in der Finanzbranche : „Keine Kollegin will die Quotenfrau sein“
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Miriam Wohlfarth führt das Unternehmen Ratepay, das elektronische Bezahllösungen anbietet. Bild: Unternehmen
Miriam Wohlfarth hat ein Fintech gegründet; in der Geschäftsführung ihres Unternehmens dominieren die Frauen. Sogar eine Schwangere wurde dort schon mal zur mittleren Führungskraft befördert. Ein Interview.
Frau Wohlfarth, Sie teilen sich die Geschäftsführung ihres Unternehmens mit einem Mann, die technische Leitung obliegt einer Frau. Beides eher ungewohnt in der Finanzbranche. Zufall – oder eine bewusste Entscheidung für mehr Gleichberechtigung?
Von beidem etwas. Wir bemühen uns sehr um ein ausgewogenes Verhältnis von männlichen und weiblichen Mitarbeitern bei uns, sehen das aber nicht dogmatisch. Es gibt keine Frauenquote. Meine Kollegin ist CTO geworden, weil sie die Beste für diese Position war – und nicht, weil sie eine Frau ist. Dass wir derzeit zwei Frauen in der Geschäftsführung sind und ein Mann, das hat sich einfach so ergeben. Auf das gesamte Unternehmen bezogen, sind derzeit 40 Prozent der gut 200 Mitarbeiter Frauen, ein gleich großer Anteil in Führungspositionen. Es waren aber auch schon einmal 60 Prozent, bezogen auf alle Mitarbeiter. Das ändert sich einfach beständig. In punkto Geschlechtervielfalt deshalb Frauen bei der Einstellung zu bevorzugen ist nicht die Lösung. Ich kenne keine Kollegin, die die Quotenfrau sein will.
Im Vergleich zu anderen Unternehmen gleicher Größe ist Ratepay mit dem hohen Anteil von Frauen in Führungspositionen vorbildlich. Laut Statista lag der im Schnitt nur bei 12 Prozent. Sie könnten sich darauf ausruhen.
Wir legen an sich einfach Wert darauf, dass wir in bunten Teams arbeiten, weil wir damit die besten Erfahrungen gemacht haben. Und bemühen uns allgemein um Diversität unter den Mitarbeitern, egal ob es das Alter betrifft, den kulturellen Hintergrund oder eben das Geschlecht. Wir würden uns beispielsweise mehr weibliche Programmierinnen wünschen, von denen gibt es aber an sich in der Branche bislang nur wenige. Unsere Produktionsverantwortlichen wiederum sind fast alles Frauen. Man kann das also nicht erzwingen mit der Vielfalt. Aber Signale setzen, um ein offenes und tolerantes Betriebsklima zu fördern. Damit sich alle Mitarbeiter wohl und respektiert fühlen und sehen, dass sie in ihrer Vielfalt wichtige Impulse für das Unternehmen geben und das goutiert wird. Jeder soll die Möglichkeit haben, seine Talente frei entfalten zu können. Und jeder soll das Gefühl haben, gebraucht und gehört zu werden.
Wie sehen solche Signale in Ihrem Unternehmen aus?
Wir haben vor kurzem eine Frau zum Teamlead befördert, die schwanger ist. Das halte ich mit Blick auf meine Erfahrungen in anderen Unternehmen für eine absolute Ausnahme. Wenn es da um Beförderungen ging, hieß es gerne mal: „Die doch nicht, die kriegt ein Kind“ oder sogar völlig vorauseilend: „Nicht die, die hat gerade geheiratet.“ Solche Signale sind auch bei anderen Themen wichtig, die Diversität betreffen, etwa beim Alter. Vor einem Jahr ging wiederum die Initiativbewerbung einer Frau ein, die in ihren letzten zehn Berufsjahren noch einmal etwas völlig Neues angehen wollte. Das hat mich total beeindruckt. Sie bereichert ihr Team sehr mit ihrer Lebenserfahrung. Und man darf einfach das Thema agiles Arbeiten nicht unterschätzen. Denn Vielfalt bedeutet auch unterschiedliche Bedürfnisse an Arbeitszeiten und Arbeitsumgebung. Wir versuchen beispielsweise unser Bestes, um Gleitzeit- und Teilzeitmodelle in allen Facetten zu ermöglichen, insbesondere für Mitarbeiter mit Familie. Vor allem für Frauen ist das wichtig, um Kind und Karriere vereinbaren zu können. Da ist in Deutschland noch viel Luft nach oben, in anderen Ländern klappt das schon viel besser.
Wo denn zum Beispiel?
Ich habe zu Beginn meines Berufslebens für ein holländisches Unternehmen gearbeitet. Das war vor etwa 20 Jahren. In Deutschland war es damals noch üblich, als Frau erst einmal länger auszusetzen, wenn man ein Kind bekommen hatte. Ich hatte dort eine Kollegin, die irgendwann von ihren drei Kindern erzählt hat. Ich war total überrascht, für mich war das damals eher ungewöhnlich, dass eine Mutter überhaupt arbeitet, und habe gefragt, wie sie das macht. Sie hat gelacht und gesagt, dass die Kinder ja auch einen Vater hätten. Das Bedürfnis nach gerechter Aufteilung der Kinderbetreuung zwischen den Eltern war bereits viel ausgeprägter, bei Männern und Frauen. Niemand wurde schief angeschaut, wenn er früher ging, um Zeit mit seinen Kindern zu verbringen – im Gegenteil. Auch mein damaliger Chef ist oft früher gegangen, anstatt bis spätabends im Büro zu sitzen. Das war ihm ganz wichtig, da wollte er ein Vorbild für seine Mitarbeiter sein. Er war übrigens auch mein erstes großes Vorbild in Sachen Gleichberechtigung von Männern und Frauen. Auch weil er alles möglich gemacht hat, damit ich weiterarbeiten konnte, als ich selbst schwanger wurde. Das war für ihn keine Herausforderung, die ich alleine zu bewältigen hatte. Für ihn war die Frage, wie man mich und meine Talente dem Unternehmen erhalten kann.
Sie sind selbst mittlerweile ein Vorbild für Frauen und werden oft als Paradebeispiel genannt, wenn es um erfolgreiche Frauen in der Fintech-Branche geht.
Ich wollte selbst immer gar nicht derart öffentlich in Erscheinung treten oder als Role Model wahrgenommen werden. Ich dachte immer, das wird bald selbstverständlich sein, dass viel mehr Frauen Unternehmen gründen und auch führen. Aber seit Gründung meines Unternehmens vor zehn Jahren hat sich noch lange nicht genug getan in diesen Fragen. Das zeigt ja der bloße Blick auf die Anzahl der Frauen, die in deutschen Unternehmen Führungspositionen bekleiden. Deswegen ist es mir mittlerweile ein großes Anliegen, mich auch mit meiner persönlichen Geschichte dafür einzusetzen. Aber auch junge Frauen zu ermutigen, sich an einen Beruf in der Tech-Branche heranzutrauen.