Fachkräftemangel : Pfleger gesucht – aber schlecht bezahlt
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Eine Pflegekraft reicht einem Patienten ein Glas Wasser Bild: dpa
Nirgends sind Bewerbungen so oft erfolgreich wie in der Pflege. Aber viele Berufsanfänger bleiben nicht lange.
Pflegekräfte sind gefragt wie nie. Um 158 Prozent ist die Nachfrage nach Beschäftigten in der Pflege in den vergangenen fünf Jahren gewachsen. Das belegen aktuelle Auswertungen von Stellenanzeigen des Onlineportals Stepstone. Eine Befragung der Stellenplattform unter 100.000 Bewerbern zeigt zudem: Jede sechste Bewerbung von Pflegekräften führt zu einem Vertragsangebot, ein Spitzenwert unter den Berufsgruppen. Zum Vergleich: Manager im Marketing erhalten nur bei etwa zwei Prozent ihrer Bewerbungen eine Zusage, Softwareentwickler bringen es auf fünf, Unternehmensberater immerhin auf sechs Prozent. Angesichts der hohen Einstellungsquote ist es kein Wunder, dass Beschäftigte in der Pflege sich ihren Arbeitsplatz sehr genau aussuchen: „Pflegefachkräfte schauen bei der Suche nach einem Job genau hin, was ihnen geboten wird und wie sich ihr potentieller Arbeitgeber präsentiert“, sagt Stepstone-Geschäftsführer Sebastian Dettmers.
Vom Nachfrageboom profitieren die Pflegekräfte, was ihre Bezahlung anbelangt, jedoch kaum. Die Macher des Stellenportals haben ausgerechnet, dass – jedenfalls den Angaben in den Inseraten zufolge – eine Pflegekraft in Deutschland durchschnittlich 39.196 Euro brutto im Jahr verdient. Das sind 19.000 Euro weniger, als Fach- und Führungskräfte im Mittel verdienen. Altenpfleger kommen durchschnittlich sogar nur auf ein Jahresgehalt von 34.000 Euro. Und auch der Vergleich zu ihren Kollegen in anderen Gesundheitsberufen fällt für die Pfleger schlecht aus (siehe Grafik). Notfallsanitäter und Medizintechniker erhalten im Durchschnitt immerhin ein Jahresgehalt von mehr als 40.000 Euro. Ganz oben im Ranking – übrigens nicht nur im Vergleich mit anderen Medizinberufen, sondern auch ganz generell – stehen die Ärzte: Verdient ein Assistenzarzt im Schnitt noch etwa 56.000 Euro im Jahr, führt ein Oberarzt in der Inneren Medizin mit durchschnittlich 127.000 Euro die Liste der Gesundheitsberufe an.
Die Konzertierte Aktion Pflege, eine Initiative von Gesundheits-, Familien- und Arbeitsministerium, setzte Ende Januar verbindliche Ziele für die Ausbildung in der Pflege: Zehn Prozent mehr Auszubildende soll es bis 2023 geben. „Das hört sich viel an, ist aber beim akuten und zukünftigen Personalbedarf völlig unzureichend“, sagt Stefan Sell, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule Koblenz. Da in den kommenden Jahren viele Pflegekräfte aus ihrem Beruf ausschieden, deckten die angestrebten zehn Prozent nicht einmal den Ersatzbedarf von Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen. Um 20 bis 30 Prozent müsste die Zahl der Auszubildenden bis 2023 nach Ansicht des Arbeitsmarktexperten steigen. Doch das sei derzeit nicht realistisch: „In den Pflegeberufen gibt es sehr hohe Abbruchquoten, und die Ausbildungsstätten leiden häufig selbst unter einem Fachkräftemangel.“ Zudem seien Arbeitsmärkte für Pflegekräfte häufig eher lokal und regional und eben nicht national. Dass etwa in großen Metropolen wie Frankfurt, Stuttgart oder Berlin ein deutlich höherer Personalmangel bestehe als etwa auf dem Land, werde in der Diskussion häufig vergessen.
Gegen eine baldige Entspannung des Fachkräftemangels in der Pflege spreche zudem das große Image-Problem der Branche. „Das derzeitige Bild der Pflegeberufe bei jungen Menschen ist desaströs“, sagt Sell. Diese Meinung bestätigt eine Analyse des Zentrums für Qualität in der Pflege: Nur sechs Prozent der Schüler halten es demnach für „sehr wahrscheinlich“, einen Beruf in der Pflege zu ergreifen – und das überschätze noch das tatsächliche Arbeitskräftepotential. Sell sagt, dem ließe sich nur dadurch entgegensteuern, dass die Pflegeberufe aufgewertet würden: „Höhere Gehälter und bessere Arbeitsbedingungen“ seien dafür unerlässlich. Beides sei zwar teuer, „aber dringend notwendig“. Sell fordert zudem einen klaren und schrittweise anzuhebenden Personalschlüssel in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen.
Was Sell beschreibt, ist eine Art Teufelskreis, der sich noch dadurch verstärkt, dass viele Pflegekräfte nicht bis zur Rente durchhalten. Auf Twitter schildern Pflegekräfte unter dem Hashtag #pflexit schon seit mehr als einem Jahr, warum sie aus der Branche aussteigen wollen. „Ich pack es weder körperlich noch psychisch, so weiterzumachen“, schreibt dort etwa ein Pfleger. „Am schlimmsten ist, dass ich glaube/weiß, meinen Job nicht mehr gut zu machen. Wenn nur diese verdammte Existenzangst nicht wäre.“ Eine andere Pflegerin schreibt: „Es ist so weit, ich sitze auf Toilette und weine. Ich kann einfach nicht mehr, es ist zu viel, ich bin heute mit einer examinierten Kraft allein auf Station und ein Patient hat mich gebissen.“ Neueinsteigern dürften solche Geschichten nicht gerade Mut machen.