Erreichbar im Urlaub : Wir Unabkömmlichen
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Immer online? Viele Urlauber verbinden sich freiwillig auch außerhalb der Arbeitszeit mit ihrem Unternehmen. Bild: mauritius images
Zwei Drittel der Beschäftigten in Deutschland sind im Urlaub für ihre Kollegen oder Kunden erreichbar. Wo bleibt dann Zeit für die Erholung?
Nicht einmal in seinem Ferienhaus am Mittelmeer hat der Arzt Ruhe vor seinen Patienten. Ob er bitte zum Hausbesuch kommen könnte, am besten gleich heute Nachmittag? Dass seine Praxis zwei Wochen lang geschlossen bleibt, hatte er angekündigt, auf seiner Website und per Aushang im Wartezimmer. Der Anrufbeantworter der Praxis verweist auf einen Arzt in der Nähe und den Kassenärztlichen Notdienst. Trotzdem drangsalieren den Mediziner gleich mehrere Patienten mit ihren Anrufen. Die Frage ist: Warum hat er ihnen überhaupt seine Mobilnummer überlassen?
Reizthema Urlaub: Zwar freuen sich die meisten Menschen darauf, doch bieten die Ferien auch Stoff für Konflikte. Muss ich am Strand dienstliche Nachrichten lesen und auf dienstliche Anrufe reagieren? Falls ja: Wie erkläre ich das meiner Familie? Was erzähle ich Kollegen, Geschäftspartnern und Kunden über meine Reise, wenn sie mich danach fragen? Dass jemand drei Wochen wegfährt und sich womöglich noch eine Luxus-Kreuzfahrt gönnt, kann Neid wecken. Dem einen fehlt das Geld für so etwas, die andere hält sich an das ungeschriebene Gesetz ihres Unternehmens, das für alle außer für die Geschäftsführung maximal zehn Urlaubstage am Stück vorsieht. Dabei steht allen Beschäftigten per Gesetz ein Urlaub von zwölf zusammenhängenden Werktagen zu. Da auch der Sonnabend als Werktag gezählt wird, entspricht das insgesamt zwei Wochen Auszeit.
„Der Urlaub muss grundsätzlich zur Erholung gewährt werden“, sagt Tjark Menssen vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB). „Quer durch alle Berufe und Branchen verzeichnen wir aber einen zunehmenden Druck auf die Beschäftigten, dass diese für dienstliche Belange auch im Urlaub erreichbar sein müssen.“ Diese Forderung sei aber nur in einem Ausnahmefall zulässig, und zwar dann, wenn der Bestand des Unternehmens gefährdet sei. Der Jurist empfiehlt daher, das Diensthandy möglichst zu Hause zu lassen. Wenn der Chef auf Erreichbarkeit im Urlaub bestehe, solle man sich an seine Gewerkschaft, seinen Betriebsrat oder einen Arbeitsrechtler wenden.
Die meisten sind freiwillig erreichbar
Der Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (Bitkom) zeichnet mit einer repräsentativen Umfrage ein differenziertes Bild. Es spiegelt nicht nur die Digitalwirtschaft wider, welche Bitkom vertritt, sondern zeigt einen Querschnitt der Beschäftigten in Deutschland. Demnach sind 67 Prozent der Befragten im Urlaub für Kollegen, Vorgesetzte und Kunden erreichbar, und zwar zumeist freiwillig.
Bisweilen geschieht das sogar im Widerspruch zu entsprechenden Regelungen in den jeweiligen Unternehmen, die sicherstellen sollen, dass die Mitarbeiter im Urlaub ausspannen und so Kraft für den Berufsalltag schöpfen. Am häufigsten nehmen die Befragten nach eigener Auskunft Anrufe entgegen, dann folgen Kurznachrichten und Mails. Nur etwa ein Viertel der Befragten zwischen 30 Jahren und 64 Jahren gibt danach an, im Urlaub auf berufliche Kommunikation komplett zu verzichten. „Menschen dieser Altersgruppe sind oft schon in einer höheren Position als Jüngere, haben daher stärkere berufliche Verpflichtungen und einen größeren Ehrgeiz“, erläutert Bitkom-Chef Bernhard Rohleder.
Mehr als die Hälfte der Befragten unter 30 Jahren will hingegen im Urlaub keine dienstlichen Anrufe entgegennehmen oder dienstliche Nachrichten lesen. „Sie gehen bewusster mit dem Internet um, da sie mit ihm aufgewachsen sind“, sagt der Politikwissenschaftler aus Berlin. Rohleder weist zudem auf einen weiteren Unterschied hin: „Selbständige und Berater sind in den Ferien am ehesten beruflich erreichbar, Beamte am wenigsten. Angestellte liegen dazwischen.“