„Circular Economy“ : Karriere im Kreislauf
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Im Müll stecken viele Möglichkeiten. Bild: Frank Röth
Geschlossene Wertschöpfungsketten, in denen Produkte nicht auf dem Müll landen, sondern wiederverwertet werden: Die Kreislaufwirtschaft eröffnet viele Chancen – auch für Bewerber.
Als Ashna Mudaffer sich im Jahr 2019 entscheidet, ihre Masterarbeit zum Thema Kreislaufwirtschaft zu schreiben, betritt sie buchstäblich Neuland. Sie hat an der Johannes-Kepler-Universität im Studiengang Management mit Schwerpunkt Nachhaltigkeit ein einzelnes Seminar zur zirkulären Wirtschaft besucht und dabei sofort gemerkt: „Das ist mein Thema“, erzählt sie. An ihrer Universität in Linz in Österreich gibt es damals keinen eigenen Studiengang zum Thema Kreislaufwirtschaft, nur ein im Jahr 2015 gegründetes Forschungsinstitut. Dort findet sie einen Betreuer und kurz darauf sogar ein Praxisbeispiel für ihre Masterarbeit. Sie macht ein Praktikum beim Spritzgussmaschinen-Hersteller Engel im oberösterreichischen Ort Schwertberg.
In dem global tätigen Betrieb analysiert sie die Geschäftsprozesse und entwickelt Strategien, wie das Unternehmen „zirkulär“ werden könnte. Unter anderem schlägt sie vor, dass Engel defekte und verschlissene Maschinen künftig zurücknimmt und wieder aufarbeitet. Es ist der Kerngedanke der Kreislaufwirtschaft: Der Hersteller eines Produkts soll nicht mehr nur bis zum Verkauf verantwortlich sein, sondern sich auch darum kümmern, dass wertvolle Ressourcen im Wirtschaftskreislauf erhalten bleiben.
Echte Kreislaufwirtschaft ist viel mehr als Recycling. Befürworter stellen sich geschlossene, regionale Wertschöpfungsketten vor, in denen Produkte nicht auf dem Müll landen, aus dem man dann die wenigen wiederverwertbaren Materialien fischt. Sondern in denen viele neue Arbeitsplätze entstehen, weil Technik gewartet, repariert und aufgearbeitet werden muss. Dieses Potenzial hat auch die Europäische Union erkannt und macht Druck. Seit 2015 gibt es im Rahmen des „Circular Economy Package“ eine Reihe neuer Gesetze. Unternehmen benötigen entsprechend ausgebildete Mitarbeiter, die den Transformationsprozess kaufmännisch und technisch begleiten. „Die Kreislaufwirtschaft erlebt gerade einen absoluten Hype“, bestätigt der Wirtschaftswissenschaftler Erik Hansen. „Und Fachkräfte für diesen Bereich sind knapp.“
Die Nachfrage ist groß
Hansen ist Gründer und Leiter des Institute for Integrated Quality Design in Linz, an dem Ashna Mudaffer ihre Masterarbeit geschrieben hat. Erst nachdem sie ihren Abschluss in der Tasche hatte, gründete Hansen gemeinsam mit anderen in Linz den Masterstudiengang „Sustainable Business & Circular Economy“ an der LIMAK Austrian Business School. „Immer mehr Universitäten bieten eigene Programme an oder gründen Forschungsinstitute, die technische Aspekte der Kreislaufwirtschaft mit unternehmerischen verbinden“, sagt Hansen.
Manche Hochschulen bieten bislang nur einzelne Module oder Vorlesungen zum Thema an. Es gibt aber auch immer mehr spezialisierte Bachelor- und Masterstudiengänge zur Kreislaufwirtschaft. Und auch das Angebot an berufsbegleitenden Weiterbildungsmöglichkeiten wächst. Die so ausgebildeten Experten sollen Unternehmen beim Umbau unterstützen – und das nicht nur in Branchen, die selbst Material verarbeiten, wie der Textil-, Chemie oder Autoindustrie. „Auch große Vermögensverwalter wie Blackrock oder Beraterfirmen setzen sich mit der Kreislaufwirtschaft auseinander“, sagt Hansen. Die Nachfrage ist so groß, dass er jeden Tag Absagen für Vorträge, Gesprächsrunden oder Kooperationsanfragen von Unternehmen erteilen muss. Es wird schlichtweg zu viel.
Zu den spezialisierten Bachelorstudiengängen gehört das Angebot der Fachhochschule Wiener Neustadt. Studierende des Programms „Nachhaltige Produktion und Kreislaufwirtschaft“ lernen, wie ein zirkuläres Wirtschaftssystem funktioniert. Nach dem Abschluss können sie zum Beispiel als Produktentwickler oder Entwicklungsingenieur schon im Design dafür sorgen, dass Produkte länger halten und besser wiederverwendbar sind. Oder sie können als Projekt- und Ressourcenmanager Strategien für Materialkreisläufe entwickeln.
Nicht jeder möchte komplett von vorne anfangen
Wem der Bachelor nicht reicht, der kann sich in einem der Masterstudiengänge noch weiter in die Kreislaufwirtschaft vertiefen. An der Technischen Hochschule Köln bietet das Lehr- und Forschungszentrum Metabolon Veranstaltungen für Bachelor- und Masterstudenten zum Thema Kreislaufwirtschaft an. An der Fachhochschule Bern gibt es den viersemestrigen Master „Circular Innovation and Sustainability“. Studierende, die ihren Bachelor außerhalb der Schweiz gemacht haben, müssen drei Monate in einem passenden Beruf gearbeitet haben, um zugelassen zu werden. Auch die Universität Linz reagiert auf die Nachfrage und baut ihr Programm aus. Bis Herbst 2024 fangen hier drei neue Studiengänge an: Der Bachelor „Nachhaltige Kunststofftechnik und Kreislaufwirtschaft“ und die Master „Plastics Management und Sustainability“ sowie „Polymer Engineering und Science“.
Doch nicht jeder, der sich im Berufsleben für das Thema interessiert, möchte komplett von vorn anfangen. Für diejenigen gibt es neben den Vollzeitstudiengängen auch berufsbegleitende Angebote. Die Technische Hochschule Rosenheim bietet seit dem Sommersemester 2022 den berufsbegleitenden Masterstudiengang „Circular Economy“ an. Er richtet sich an Fachkräfte, die schon in Branchen arbeiten, in denen das Thema relevant ist, und kostet rund 14 500 Euro.
Gemeinsam haben alle Studiengänge, dass sie betriebswirtschaftliche Kompetenzen mit einem technischen und ökologischen Verständnis von Produktionskreisläufen verbinden wollen. „Die zirkuläre Wirtschaft ist ein ganzheitliches Konzept, das alle Bereiche unseres Wirtschaftssystems verknüpfen muss“, sagt der Linzer Wirtschaftswissenschaftler Erik Hansen. Entsprechend vielseitig sind auch die Berufschancen. Sowohl Dienstleistungs- und Industriebetriebe als auch Verwaltung, Regierungen sowie internationale Organisationen brauchen ausgebildete Zirkularitätsexperten. Gleiches gilt für die Digitalindustrie.
Eine große Chance für Branchen mit schlechtem Ruf
Wem ein Studium zu umfangreich ist, der kann sich auch in sogenannten Massive Open Online Courses, kurz MOOCs, weiterbilden. Das sind von Hochschulen auf speziellen Plattformen angebotene Onlinekurse mit bis zu zehntausend Teilnehmern – die für alle offen und meistens kostenlos sind. Die Plattformen edx.org und udemy.org bieten verschiedene Kurse zur Kreislaufwirtschaft an. Bei edx etwa können Interessierte den Kurs „Circular Economy: An Introduction“ der niederländischen Technischen Universität Delft belegen. Und auch bei coursera.org finden Interessierte mehr als 30 solcher Weiterbildungseinheiten, angeboten von internationalen Hochschulen, etwa der Lund University oder der University of London.
Erik Hansen ist sich sicher, dass das Angebot in allen Bereichen noch zunehmen wird. „Besonders für Branchen, die keinen guten Ruf haben, wie die Kunststoffindustrie oder energieintensive Industrien wie die Metallindustrie ist die Kreislaufwirtschaft eine riesige Chance“, sagt der Wirtschaftswissenschaftler. Sie können mithilfe der Experten besser und nachhaltiger werden. Und gewinnen mit diesem Bestreben auch leichter neue Mitarbeiter. „Weil man lieber in einer Industrie arbeitet, die Teil der Lösung, nicht Teil des Problems ist.“
Auch Ashna Mudaffer hat einen solchen Job gefunden. Sie arbeitet inzwischen bei Business Upper Austria, der Standortagentur des Landes Oberösterreich, und ist dort für die Projektorganisation in Sachen Kreislaufwirtschaft verantwortlich. Kürzlich bekam sie einen Anruf: Ihr ehemaliger Praktikumsbetrieb Engel hat Teile der Strategie übernommen, die sie mit entwickelt hatte. Das Unternehmen kauft nun alte Maschinen zurück und arbeitet sie wieder auf. „Das zeigt, dass sich in der Industrie etwas tut“, freut sich die Masterabsolventin.