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Chef verschickt Lebenslauf : Bewerbung mal andersherum

Traditioneller Bewerbungsprozess: Unternehmer sucht Mitarbeiter. Das geht jedoch auch andersrum. Bild: dpa

Wenn Chefs Anschreiben und Lebensläufe verfassen und Mitarbeiter Zeugnisse ausstellen – dann handelt es sich um eine umgedrehte Bewerbung. Warum mehrere Unternehmen so etwas versuchen.

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          Als Dirk Fischer vor etwa anderthalb Jahren begann, daran zu zweifeln, ob ihn seine Arbeit für einen Bremer Autozulieferer noch glücklich machte, da wusste ein Kumpel von ihm Rat. „,Barghorn‘, sagte der zu mir, ,guck dir die mal an, die suchen immer.‘“ Fischer musste erst einmal auf die Unternehmenshomepage gehen, um herauszufinden, was der mittelständische 100-Mann-Maschinen- und Metallbaubetrieb in der Wesermarsch eigentlich genau machte. Hängen geblieben ist er dabei auf der Karriereseite des Unternehmens. Kein Wunder. Denn was Barghorn dort bietet, schafft garantiert Aufmerksamkeit. Der komplette Bewerbungsprozess ist umgekehrt; das Unternehmen bewirbt sich bei eventuellen Kandidaten. Wer Interesse hat, hinterlässt nicht mehr als seinen Namen und seine Kontaktdaten; möglich ist es auch, in einem Freitextfeld einen kurzen Kommentar zu schreiben. Anschließend lässt sich eine komplette Bewerbungsmappe herunterladen; eine Bewerbung des Unternehmens beim Arbeitnehmer wohlgemerkt.

          Nadine Bös
          Redakteurin in der Wirtschaft, zuständig für „Beruf und Chance“.

          „Auf der Suche nach Menschen, die uns in unserem Tun und Wirken unterstützen, bist Du uns aufgefallen. Und deswegen bewerben wir uns bei Dir als Arbeitgeber“, heißt es etwa in dem Anschreiben. Es folgt ein „Lebenslauf“ des Unternehmens von der Gründung 1941 bis zur „geplanten Erweiterung“ der Belegschaft durch den Bewerber. Unter „Interessen und Hobbies“ sind Firmenevents und Weiterbildungen gelistet. Weiter hinten in der Mappe erfährt der potentielle Mitarbeiter Details über die Region Wesermarsch bis hin zum augenzwinkernden Hinweis auf die 17.000 Schafe, die der Landstrich zu bieten habe.

          So sieht es aus, wenn sich nicht Interessenten bei einem  Unternehmen bewerben, sondern ein Unternehmen bei Interessenten. Der mittelständische Maschinen- und Metallbaubetrieb Barghorn hat gute Erfahrungen damit gemacht.
          So sieht es aus, wenn sich nicht Interessenten bei einem Unternehmen bewerben, sondern ein Unternehmen bei Interessenten. Der mittelständische Maschinen- und Metallbaubetrieb Barghorn hat gute Erfahrungen damit gemacht. : Bild: Barghorn

          Dass sich der Arbeitsmarkt von einem „Arbeitgebermarkt“ zu einem „Bewerbermarkt“ gedreht habe – davon ist seit Jahren die Rede. Verwiesen wird dann vor allem auf den demographischen Wandel; die Babyboomer-Generation geht in Rente, und es kommen immer weniger Berufseinsteiger nach. Geht es um Betriebe wie Barghorn, kommen oft noch die Akademisierung und die mangelnde Lust von jungen Menschen auf Ausbildungsberufe hinzu und verstärken die Personalnöte. 2020 starteten zum ersten Mal seit Beginn der Erfassung 1977 in ganz Deutschland weniger als 500.000 neue Azubis eine duale Berufsausbildung. Mit einem Rückgang von 6,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr war das Handwerk noch weniger betroffen als die Industrie und der Handel.

          Anspruchsvollere Bewerber

          „Heutzutage muss sich der Chef beim Kandidaten bewerben“ – diese Weisheit hat in Personalmanager-Kreisen jedenfalls längst einen langen Bart. Dass es jemand aber so wörtlich nimmt wie Gunnar Barghorn, der Inhaber des gleichnamigen Betriebes, ist ziemlich selten, finden Fachleute wie Henner Knabenreich. Knabenreich berät schon seit Jahren Unternehmen im digitalen Personalmarketing, in der aktuellen Corona-Zeit spürt er einen deutlichen Nachfrageanstieg nach seiner Dienstleistung. „Vielen Menschen ist während Corona bewusst geworden, dass sie so nicht weiterarbeiten wollen“, sagt er. Etliche hätten sogar gekündigt, ohne einen neuen Job in der Hinterhand zu haben. „Mein Eindruck ist, dass die Menschen zunehmend hinterfragen, welchen Sinn ihr Job hat und was der neue potentielle Arbeitgeber dafür tut, dass ich bei ihm diesem Sinn nachgehen kann.“

          Für Dirk Fischer wurden diese Fragen im umgedrehten Bewerbungsprozess nach und nach beantwortet. Nachdem er im Internet seinen Kontakt hinterlassen hatte, klingelte nachmittags sein Telefon, Gunnar Barghorn, sein heutiger Chef, war dran. „Wir haben kurz geschnackt, und er hat abgeklopft: Wer bin ich? Und dann sagte er: ,Hast du Bock auf einen Kaffee?‘ Zwei Tage später bin ich auf einen Kaffee vorbeigegangen.“ Während dieses Treffens, das sich über bestimmt zwei Stunden hinzog, habe er nicht das Gefühl gehabt, in einer Bewerbersituation zu sein. „Es war ein Gespräch, damit man mich als Person kennenlernt. Gunnar hat mir eigentlich mehr von der Firma vorgestellt, als er an Informationen von mir gekriegt hat.“ Genau so ist es auch gedacht. „Es ist wie zu Besuch kommen“, erklärt Barghorn sein Konzept. „Es ist nicht diese typische Vorstellungsgesprächssituation, die auch immer etwas von Steifigkeit hat. Es ist eher: Komm mal rum, ich zeig dir alles, und wir klönen. Diese Entspanntheit in der Atmosphäre ist mir ganz wichtig.“

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