Geschlechterdiskriminierung : Verhandlungsgeschick rechtfertigt nicht mehr Lohn
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Das Bundesarbeitsgericht in Erfurt Bild: dpa
Das Bundesarbeitsgericht hat ein Grundsatzurteil gesprochen: Frauen müssen von erfolgreichen Lohnverhandlungen männlicher Kollegen profitieren.
Mit einem Grundsatzurteil zur Bezahlung von Frauen und Männern hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) am Donnerstag die Verhandlungsfreiheit von Arbeitgebern und Arbeitnehmern bei Gehaltsvereinbarungen eingeschränkt. Demnach verstößt es gegen das Prinzip „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“, wenn ein Arbeitgeber die schlechtere Bezahlung einer Mitarbeiterin damit begründet, der männliche Kollege mit den gleichen Verantwortlichkeiten habe mehr Geschick bei den Gehaltsverhandlungen bewiesen. Für die Unternehmenspraxis bedeutet das: Wenn Arbeitgeber Gehaltsforderungen eines Arbeitnehmers akzeptieren, müssen sie einer ebenso qualifizierten und erfahrenen Mitarbeiterin gleichfalls ein höheres Gehalt zahlen. Das BAG sprach der Klägerin, einer ehemaligen Außendienstmitarbeiterin eines Metallbetriebs in Sachsen, knapp 15.000 Euro entgangenen Lohn und eine Entschädigung in Höhe von 2000 Euro zu.
Das Revisionsverfahren vor dem Bundesarbeitsgericht war von der „Gesellschaft für Freiheitsrechte“, die auf strategische Prozessführung unter anderem bei Diskriminierungsfragen spezialisiert ist, als Musterverfahren geführt worden. „Dieses Urteil ist ein Meilenstein auf dem Weg zur gleichen Bezahlung von Frauen und Männern. Gleiche Bezahlung kann nicht wegverhandelt werden“, sagte die Prozessbevollmächtigte Sarah Lincoln, nach der Urteilsverkündung.
Verhaltensökonom: „Männer verhalten sich in Gehaltsverhandlungen anders“
Die Klägerin hatte im Jahre 2017 das Angebot einer monatlichen Grundvergütung von 3500 Euro akzeptiert. Aus familiären Gründen wurde ihr zudem eine jährliche Freistellung von 20 unbezahlten Arbeitstagen gewährt. Wenige Monate zuvor hatte das Unternehmen einen Arbeitsvertrag mit einem männlichen Außendienstmitarbeiter geschlossen. Dem Mann reichten 3500 Euro Grundgehalt nicht. Er verlangte für die Einarbeitungszeit eine Grundvergütung von 4500 Euro, die ihm dann auch bewilligt wurde. Nach zwischenzeitlich gleicher Bezahlung trat 2018 ein Haustarifvertrag in Kraft: Der männliche Mitarbeiter wurde daraufhin wieder besser bezahlt, da er kurz vorher eine Gehaltserhöhung ausgehandelt hatte.
Die Grundkonstellation des Rechtsstreits – der Mann fordert mehr Geld, die Frau gibt sich mit dem Angebot des Arbeitgebers zufrieden – entspricht dem, was Verhaltensökonomen auch sonst beobachten: „Männer verhalten sich in Gehaltsverhandlungen anders“, sagt Matthias Sutter, Direktor am Max Planck Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern in Bonn. „Studien zeigen, Männer verhandeln im Schnitt erfolgreicher, weil sie im Schnitt mehr fordern.“
Bewerberinnen hingegen würden vereinzelt sogar signalisieren, die Stelle auch für ein geringeres Entgelt anzunehmen. „Dieses Verhalten wird bei Männern praktisch nicht beobachtet“, berichtet Sutter. Ihm leuchte aber nicht ein, warum eine Diskriminierung vorliegen solle, wenn jemand mit dem angebotenen Lohn zunächst zufrieden sei und sich erst im Nachhinein ungerecht behandelt fühle, weil jemand anders erfolgreich mehr Geld verlangt habe. „Das wäre der Abschied von Selbstverantwortung“, so Sutter. Damit es erst gar nicht zum Streit kommt, schlägt er vor, Unternehmen sollten in Stellenausschreibungen ausdrücklich erwähnen, dass das Gehalt verhandelbar sei. Aus der Forschung wisse man, dass dann auch Frauen über das Gehalt verhandelten – mit welchen Ergebnissen, ob Frauen also im Schnitt die gleichen Verhandlungsergebnisse erzielten, sei hingegen eine offene Frage.