Alicia wird rot, wenn sie sich schmachvoll an ihren zweiten Arbeitstag in der renommierten Sozietät erinnert: Lästern im neuen Kollegenkreis war angesagt. In der Plauderrunde befand sich auch eine etwa gleichaltrige Frau, der sie noch nie begegnet war. Alicia will punkten und eine Anekdote beisteuern. Witzig erzählt sie von ihrem Kanzlei-Praktikum und darüber, dass einer der Anwälte seine Mandanten zu aussichtslosen Klagen überredete. Die unbekannte Kollegin wird zusehends schmallippig und verlässt vorzeitig die Runde. Später wird sich herausstellen, dass besagter Anwalt ihr Patenonkel ist. Dumm gelaufen – in mehrfacher Hinsicht. Natürlich war das Gebaren des Anwalts nicht rechtens. Alicia kann das kritisch anmerken, aber nicht in diesem Kreis, nicht mit Namen und nicht in diesem Ton.
Die Berufseinsteigerin ist in eine klassische Anfängerfalle getappt: Verständlicherweise möchte sie schnell dazugehören. Jetzt folgt das große Aber, denn Alicia kennt die Querverbindungen nicht, wer mit wem verwandt, verschwägert, liiert oder stabil verfeindet ist. Und es geht hier – völlig anders, als sie das von der Universität kennt – nicht um fiktive Fälle, sondern um das reale Berufsleben, um Diskretion, Schweigepflicht und darum, dass die neuen Kollegen sehr genau hinschauen, wer da zu ihrem Team gestoßen ist. Seilschaften gibt es in fast allen Bürozirkeln und Konzernen, kleine Einheiten können dabei den Vorteil haben, dass diese Verbindungen eher erkennbar werden. Hierfür ein Bewusstsein zu entwickeln, versäumen manche Einsteiger. Da kann man sich noch so gut vorab informiert haben: Wer wo mit wem im Hintergrund die Strippen zieht, verschweigt die Unternehmens-Website.
Was Einsteiger tun sollten
Dietmar Schöckel klingt das alles zu negativ. Statt von Anfängerfehlern zu reden, spricht der Wahlmünchner lieber von Tipps für Einsteiger. Er war 30 Jahre lang im Personalmanagement und arbeitet jetzt als Personalberater. An seinen ersten Tag, damals bei Nixdorf, kann er sich noch gut erinnern. Er findet, die erste feste Stelle ist etwas Besonderes. „Deshalb sage ich den Führungskräften: Ihr müsst euch kümmern. Und den Bewerbern: Achtet darauf, dass ihr am ersten Tag einen guten Eindruck macht.“ Das Wichtigste sei, mit einer positiven Grundhaltung an die ersten sechs Monate zu gehen.
„Das ist arbeitsrechtlich die Probezeit, in der beide Seiten prüfen – passen wir zusammen?“ Was Einsteiger tun sollten: wissbegierig sein, die Bereitschaft zum Lernen, Machen, zum Dingeübernehmen haben. Dazu gehören auch Aufgaben, die eher öde erscheinen, sagt Betriebswirtin Viola Siegl, die an einem Institut der RWTH Aachen arbeitet und selbst vom 50-Mann-Betrieb bis zum 1200-Leute-Konzern unterschiedliche Arbeitswelten kennengelernt hat. „Am Anfang sollte man offen sein und auch Arbeit annehmen, die nicht unbedingt so toll ist. Das bleibt positiv in Erinnerung. Sich selbst zu reflektieren hilft. Zu überlegen: Was würde mir gefallen? Dann verhalte ich mich so auch anderen gegenüber.“
Balance zwischen Profilierung und Anpassung
Entscheidend ist der Balanceakt zwischen Engagement und gebotener Zurückhaltung. Das ist eine zentrale Botschaft in all den Wie-überstehe-ich-die-ersten-100-Tage-Ratgebern. Eine Faustregel: Die Stillen sollten sich vornehmen, hier und da eine Frage zu stellen. Die Lauten sollten einen Gang zurückschalten. Natürlich kann keiner gegen sein Inneres an, aber Schweigen wird leicht als Desinteresse, Mitreden und selbstbewusstes Kommentieren als Übergriffigkeit interpretiert. „Die ersten Monate verlangen eine Balance zwischen Profilierung und Anpassung. Zuhören können, aktiv sein, nicht zu forsch und besserwisserisch rangehen“, rät Schöckel und auch, sich Sätze wie „Das habe ich an der Uni anders gelernt“ zu verkneifen. Wenn der Neue die Arbeitswelt erklärt, reagieren nicht nur die Mitarbeiter allergisch, die nicht studiert haben. Besser: ein wenig von sich erzählen, ein, zwei Hobbys erwähnen, die unkompliziert sind. Dabei lieber Fußballergebnisse diskutieren statt die Motivsuche im Tattoostudio. Sich mit Themen, die aktuell sind, auf den neuen Stand bringen „klingt profan, ist aber sinnvoll“, empfiehlt Viola Siegl.