Berufseinstieg : Früher war nicht alles besser
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Welcher Arbeitgeber soll es werden? Junge Menschen achten bei der Stellensuche verstärkt auf die Arbeitszeiten. Bild: dpa
Berufseinsteiger haben heute mehr Wahlmöglichkeiten und mehr Geld in der Tasche als früher. Das besagt eine Studie des Wirtschaftsethikers Christoph Lütge, die der F.A.Z. vorliegt. Bei der Stellenwahl gewinnt das Kriterium Arbeitszeit an Bedeutung.
Der Berufseinstieg markiert in vielerlei Hinsicht einen Wendepunkt im Leben. Das erste Einkommen ermöglicht Unabhängigkeit und Konsum, die Freizeit wird neu arrangiert, und das neue Umfeld erfordert die Fähigkeit zur Anpassung und Einordnung. Die Arbeitswelt hat sich jedoch in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten deutlich verändert. Sind Berufseinsteiger heute also besser oder schlechter dran als noch vor zwanzig Jahren? Fühlen sie sich freier in der Wahl ihres Berufs? Wie haben sich die wichtigsten Auswahlkriterien verändert?
Diese Fragen hat der Wirtschaftsethiker Christoph Lütge von der Technischen Universität München im Auftrag der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft untersucht. Für die Studie, die der F.A.Z. vorliegt, wurden rund tausend Personen zu ihrem Berufseinstieg befragt. Jeweils rund die Hälfte stammten aus der Generation der 57- bis 68-Jährigen (Ältere) sowie der 32- bis 43-Jährigen (Jüngere). Die Ergebnisse überraschen in mancherlei Hinsicht. Generell lässt sich aus den Antworten nämlich ablesen, dass die „gefühlten Freiheiten bei der Berufswahl zugenommen“ haben. Die Chancen und die finanziellen Aussichten haben sich gleichzeitig deutlich verbessert - zumindest in der Wahrnehmung der Befragten. So gab in der Gruppe der Älteren jeder Zweite an, dass es zu seiner Zeit mehr Absolventen als offene Stellen gegeben habe. Unter den Jüngeren war es jeder Fünfte.
Noch überraschender: Während in der öffentlichen Debatte um prekäre Beschäftigung schnell der Eindruck entsteht, dass junge Menschen heute besonders häufig Niedriglöhne beziehen, hat sich die finanzielle Situation von Berufseinsteigern laut TU-Umfrage sogar verbessert. Rund 40 Prozent der Älteren schätzten ihre persönliche Haushaltslage zum Zeitpunkt des Berufseinstieges so ein, dass sie sich ihre Konsumwünsche nicht oder kaum erfüllen konnten und ihr Budget nur für das Nötigste reichte. Unter den Jüngeren waren es rund zehn Prozentpunkte weniger.
Auch die aktuelle Situation stellt sich mit sinkendem Alter deutlich besser dar. Arbeitnehmern in den Dreißigern und Vierzigern steht heute im Durchschnitt netto ein Einkommen von 2024 Euro im Monat zur Verfügung, Rentnern und Personen im rentennahen Alter nur von 1837 Euro. Nach Haushaltssituation betrachtet, beziehen die Jüngeren häufiger ein Einkommen zwischen 3000 und 5000 Euro im Monat, während die Älteren stärker zwischen 1500 und 2000 Euro vertreten sind. Allerdings leben sie öfters in kleineren Familienverbänden, bei den Jüngeren kommen häufiger noch zu Hause wohnende Kinder hinzu.
Besondere Aufmerksamkeit widmet die Studie der persönlich empfundenen Freiheit. Die Jüngeren verstehen darunter vor allem Handlungs- und Entscheidungsfreiheit. Oder einfacher: tun und lassen können, was man will. Für die Älteren spielte noch viel stärker die freie Meinungsbildung und -äußerung eine Rolle, ebenso die Presse- und Informationsfreiheit. Dinge, die heute im digitalen Zeitalter zumindest in Deutschland längst als eine Selbstverständlichkeit erscheinen. Während für die ältere Kohorte zudem noch konkrete Wünsche wie Urlaub und Reisen wichtig waren, legen die jüngeren Berufseinsteiger mehr Wert auf generelle Werte wie Lebensqualität, Zufriedenheit und Sorglosigkeit.
Deshalb haben auch die Arbeitszeiten an Bedeutung gewonnen. Während jeder Sechste der Jüngeren die Arbeitszeit als einen Beweggrund zur Aufnahme seiner Ausbildung oder Studiums angab, war es unter den Älteren nur jeder Zehnte. Mit jeweils rund zwei Drittel lag als wichtigste Motivation in beiden Gruppen jedoch das „Interesse an der Sache“ auf dem ersten Platz. Etwas überraschend fällt jedoch die Erkenntnis aus, dass die nach 1970 Geborenen etwas stärker auf die Verdienstmöglichkeiten schielten als die Gruppe ihrer potentiellen Eltern.
Angesichts dieser Ergebnisse überrascht es umso mehr, dass die Älteren sowohl die beruflichen als auch ihre persönlichen Selbstverwirklichungschancen in den sechziger und siebziger „deutlich besser als heute“ einschätzen, während die Jüngeren zwar dazu neigen, die aktuelle Lage zu bevorzugen, in den meisten Fällen sich den Vergleich aber nicht zutrauen. Die Altersgruppe der 57- bis 68-Jährigen schätzt auch die Folgen der Globalisierung signifikant negativer ein.
Die Studienautoren führt dies zu dem Schluss, dass der Freiheitswunsch zunimmt, er aber nur erfüllbar ist, wenn der Arbeitsmarkt funktioniert. Die Arbeitsmarktchancen stellten einen wichtigen Faktor dar, der das Urteil über die Chancen und Freiheiten insgesamt beeinflusse. „Es scheint also weniger die aktuelle Wirtschaftslage in Deutschland als die antizipierte Wirtschaftslage zu sein, die die Wahrnehmung der Freiheit bestimmt“, lautet das Fazit. Früher war eben auch im Beruf nicht alles besser.