Physik und VWL : Unvollkommenheit in einer perfekten Wissenschaft
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Physik befasst sich mit komplexen Fragen, wird dafür aber nicht honoriert Bild: dpa
Physiker haben auf dem Arbeitsmarkt viel schlechtere Chancen als Wirtschaftswissenschaftler, obwohl sie meist besser ausgebildet sind. Wie ist das zu erklären?
Man sollte annehmen, dass promovierte Physiker bessere Arbeitsmarktchancen haben als promovierte Ökonomen. Einmal sind Physiker mathematisch besser ausgebildet, sie beherrschen das Programmieren schwierigster Probleme, und sie sind es gewohnt, hart zu arbeiten. Bis auf den letzten Punkt gilt das nicht für Ökonomen. Ihre Mathematik ist, verglichen mit derjenigen der Physik, einfach und die Programmierkenntnisse sind in der Regel geringer. Dennoch haben Ökonomen bessere Arbeitsmarktchancen und höhere Einstiegsgehälter. Was läuft schief bei den Physikern?
Zunächst ist zu erwarten, dass Ökonomen und Physiker auf einem vollkommenen Arbeitsmarkt und unter ansonsten gleichen Bedingungen relativ gleiche Arbeitsmarktchancen und Einstiegsgehälter haben. Doch weder sind die Arbeitsmärkte im wissenschaftlichen Bereich vollkommen, noch sind es die Bedingungen auf diesen Märkten. Am einfachsten lassen sich die unterschiedlichen Bedingungen benennen. Auf der Angebotsseite bestehen sie darin, dass wenige Hochbegabte Ökonomen werden wollen, weil das zu langweilig oder nur wenig herausfordernd ist. Anders formuliert: Gebiete, in denen junge, intrinsisch motivierte Menschen sich für eine Karriere in Physik entschieden haben, ist das Arbeitsangebot genau wegen dieser höheren intrinsischen Motivation zumindest für eine gewisse Zeit sehr unelastisch, was Entlohnung, Vertragsdauer und Arbeitsbedingungen betrifft.
Natürlich gibt es für Physiker alternative Beschäftigungsmöglichkeiten, beispielsweise als Programmierer in vielen Firmen oder als Quant bei einer Bank. Während erstere Möglichkeit im Lebenslauf länger besteht, gilt dies für die sehr knappen und hochbezahlten Stellen in der „Quantitative Finance“ nicht.
Preis der Spezialisierung
Für angehende Ökonomen ist das Arbeitsangebot elastischer, da sie hinsichtlich ihrer Tätigkeitsfelder deutlich flexibler sind. Anders ausgedrückt: frühe und hohe Spezialisierung hat ihren Preis. Ökonomen können recht einfach in Nachbarfächer wie BWL, Recht und Wirtschaft oder andere Bindestrich-Ökonomie-Fächer ausweichen. Darüber hinaus produzieren moderne Unternehmen und Volkswirtschaften einen stetig steigenden Datenfluss. Da das theoretische wissenschaftliche Niveau schon allein aufgrund des Alters des Fachs im Vergleich zur Physik noch niedrig ist, weisen die Ökonomik als Wissenschaft und die Tätigkeit der Ökonomen eine höhere Grenzproduktivität auf.
Nach gängiger ökonomischer Theorie heißt das, dass Ökonomen eine höhere Entlohnung oder aber bessere Arbeitsbedingungen erwarten können als Physiker. Und da Physiker noch keine ernsthafte Konkurrenz für Ökonomen sind, wird das Lohngefälle nicht über den Wettbewerb zwischen Physikern und Ökonomen abgebaut. Hinzu kommt, dass der Wettbewerb auf dem Physiker-Arbeitsmarkt selbst schärfer geworden ist.
Eine signifikante Verbesserung für theoretische Physiker würde sich erst dann ergeben, wenn Physiker wieder in eine Region höherer Grenzproduktivität gelangen würden. Das setzte für den theoretischen Bereich wohl voraus, dass neue Daten produziert werden, die Überprüfungsmöglichkeiten für Theorien schaffen wie beispielsweise neuere und größere Teilchenbeschleuniger, oder Fortschritte bei der praktischen Nutzbarkeit bestimmter theoretischer Erkenntnisse (Quantencomputer etc.) gemacht werden.
Ungleichgewicht in der Nachfrage
Auf der Nachfrageseite haben die Ökonomen im Vergleich zu dem Stand der Wissenschaften in der Physik erst wenige Probleme gelöst, und es kommen ständig neue hinzu. Bei der Physik sind dagegen die meisten Standardprobleme längst gelöst sind oder scheinen es zumindest. Damit ist die Physik, ökonomisch gesehen, am Ende eines Produktlebenszyklus angekommen. Das erklärt, warum die bei weitem meisten physikalischen Forschungsarbeiten im Mainstream-Bereich angesiedelt sind. Am Ende eines Produktlebenszyklus von Ideen werden zwangsläufig von einer wachsenden Zahl von Forschern eine stetig steigende Zahl theoretischer Versuche produziert, die nur wenig Neues generieren: eine fast ausgebeutete Mine wirft eben wenig ab.
Möglicherweise hat das Übergewicht an theoretischen Physikern an Forschungsinstitutionen damit zu tun, dass sie geringere Kosten als Experimentalphysiker verursachen. In beiden Feldern sind Nachwuchswissenschaftler über halbe Stellen bei vollem Arbeitseinsatz mit schlechten Konditionen konfrontiert, die die tatsächlichen Stundenlöhne teilweise sogar unter den Mindestlohn treiben dürften, obwohl oder gerade weil die offizielle Entlohnung tarifvertraglich fixiert ist.
Darüber hinaus zeigt die Entlohnung den Wert dessen an, was das Gelernte für die Gesellschaft bietet. Im Vergleich zur Physik sind die Techniken der wissenschaftlichen Ökonomik weniger geheimnisvoll und benötigen eine geringere Ausbildung. Zudem ist die Nachfrage nach Ökonomen auf die Fähigkeiten gerichtet, die auch in Bereichen außerhalb der Wissenschaft, beispielsweise in Business Schools, Medical School oder Law Schools, gefragt sind. Außerdem gibt es Nachfrage aus den Unternehmen, den Verwaltungen und der Politik. In diesem Bereich haben gut ausgebildete Ökonomen auch gegenüber gut ausgebildeten Physikern komparative Vorteile in Bereichen wie rationales Entscheiden, Analyse von diffusen Daten oder Optimierung von Prozessen. Kurzum, die Nachfrage nach Ökonomen ist bei ansonsten ähnlich guter Ausbildung höher.
Mehr Physiker, aber wie?
Gerade der letzte Punkt verweist auf eine Besonderheit derjenigen akademischen Arbeitsmärkte, auf denen Universitäten und staatliche Forschungseinrichtungen die dominierenden oder sogar einzigen Nachfrager sind: Sie sind Monopsone, also Märkte mit nur einem oder sehr wenigen Nachfragern. Die entsprechende Theorie sagt, dass solche Arbeitsmärkte anders funktionieren. An die Stelle der Grenzproduktivitätstheorie der Entlohnung werden sie über Beschäftigungsgrenzkosten bestimmt mit der Folge, dass Entlohnung und Arbeitsbedingungen darunter leiden. Diese ungünstige Aussicht findet sich auch real in den Zahlen der Deutschen Physikalischen Gesellschaft wieder: den rund achtzig Personen jährlich, die sich derzeit für eine universitäre Karriere in der Physik qualifizieren, stehen rund vierzig Positionen für Erstberufungen pro Jahr gegenüber.
Dennoch wollen angeblich Politik und Wissenschaftsmanager mehr Physiker, um auf dem Weltforschungsmarkt bestehen zu können. Heißt die Lösung also: schnell mehr Geld für Zeitverträge ins System pumpen? Selbst dann wäre wegen verzögerter Marktreaktionen noch nicht alles gut. Die Studierwilligen folgen einem Spinnweben-Modell, in dem das Arbeitsangebot entsprechend der langen Ausbildungszeit zeitverzögert reagiert. Bei Abwesenheit starker Nachfrage gibt es dann immer mal wieder ein zu hohes Angebot, wobei eine große Anzahl von Physik-Absolventen Auslöser für weniger Einschreibungen in den Folgejahren wird und damit ursächlich ist für Zyklen mit einem Überangebot etc.
Angenommen, dass die Zahl der Hochbegabten, die eine lange und harte Ausbildung in theoretischer Physik auf sich nehmen, relativ unelastisch gegenüber den universitären Angeboten ist, könnte eine kleine Lösung in einer moderaten Erhöhung von Dauerstellen im Mittelbau in diesem Bereich bestehen. Damit würde die Distanz zwischen Dozenten und Studenten in der theoretischen Physik zu beider gemeinsamen Vorteil verringert.