Akademischer Mittelbau : Die ungleichen Chancen auf eine Hochschulkarriere
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Bei den Studenten ist Geschlechterparität erreicht, doch in der Wissenschaft sinkt der Frauenanteil mit jeder Karrierestufe Bild: dpa
Die Debatte über das akademische Prekariat läuft auf Hochtouren. Doch die Geschlechterperspektive bleibt oft ausgespart.
Auch die Verabschiedung des Hochschulpakts hat die Debatte über befristete Kettenverträge im akademischen Mittelbau nicht beendet. Die Geister scheiden sich allerdings, wie der Norm der Befristung begegnet werden soll und ob sie überhaupt als wissenschaftspolitisches Problem zu gelten habe. Albrecht Koschorkes jüngst gesungenes Lob auf die Befristung als die vermeintlich leistungs- und innovationssteigernde Conditio sine qua non von Exzellenz stößt auf vehemente Gegenwehr. Claudia Gatzka wendet etwa ein, dass Dauerstellen mitnichten dazu führen müssten, dass Wissenschaft ihre Innovationskraft verliere. Längeres Nachdenken in gesicherter Position könne vielmehr da Kreativität freisetzen, wo Befristungen zu einem systematischen Verlust wissenschaftlicher Expertise führten.
Natürlich ist es wenig überraschend, dass ein Vertreter des wissenschaftlichen Spitzenpersonals wie Koschorke für Flexibilität und Mobilität (wohlbemerkt nicht die eigene, sondern die der anderen) argumentiert, wohingegen sich der sogenannte wissenschaftliche Nachwuchs für eine Departmentstruktur mit Dauerstellen und insbesondere für flachere Hierarchien an der Hochschule ausspricht.
Der Frauenanteil sinkt mit jeder Karrierestufe
Bemerkenswert an der Debatte ist allerdings, dass die „Normalität der Prekarität“ als ein Neutrum verhandelt wird und die Frage nach Geschlechtergerechtigkeit in diesem Kontext allenfalls am Rande – und dann zumeist reduziert auf die Vereinbarkeitsproblematik – gestellt wird. Dabei ist es ein Allgemeinplatz, dass der Frauenanteil an deutschen Hochschulen mit steigender Qualifikationsstufe dramatisch sinkt. Im Jahr 2017 lag der Anteil an Professorinnen laut amtlicher Hochschulstatistik bei 24 Prozent. In Nordrhein-Westfalen, dem Bundesland mit der größten Hochschuldichte, lag der Frauenanteil an den Professuren bei 25 Prozent und spiegelt somit in keiner Weise die hohe Zahl von Absolventinnen (51 Prozent) wider. Und selbst in Berlin, wo der Anteil an Professorinnen im Bundesländervergleich am höchsten ist, besetzen diese nicht einmal ein Drittel der Professuren.
Diese Zahlen verdeutlichen einen zentralen Befund der Hochschulforschung: Die Wissenschaftskarrieren von Frauen und Männern verlaufen ungleich. Und der Fortschritt vollzieht sich im Schneckentempo. In den letzten zehn Jahren ist der Frauenanteil an den Professuren nur um fünf Prozent gestiegen. Ginge dies so weiter, würde Parität erst um das Jahr 2060 erreicht.
Damit sind die Chancen auf eine erfolgreiche Hochschulkarriere ungleich verteilt. Vor allem der Übergang zwischen der Promotions- und der Postdoc-Phase gestaltet sich verlustreich: Betrug der Frauenanteil im Jahr 2017 bei den in Nordrhein-Westfalen abgeschlossenen Promotionen 43 Prozent, so lag er bei den Habilitationen nicht einmal bei einem Drittel (28 Prozent). Dies bedeutet, dass geschlechtliche Ungleichbehandlung an den Hochschulen selbst hergestellt und im Laufe der Karrieren sogar verstärkt wird.
Ungleichgewichte im Mittelbau
Dieser Befund kann nicht mit divergierenden Karriereorientierungen erklärt werden. In der Medizin, wo die Spanne zwischen erfolgreich promovierten Frauen und Professorinnen besonders hoch ist, zeigt eine in Nordrhein-Westfalen durchgeführte Studie, dass das Interesse von qualifizierten Forscherinnen an einer Hochschulkarriere in der Medizin deutlich höher ist, als es ihr Anteil von knapp sechzehn Prozent an den Medizinprofessuren suggeriert. Doch anstatt über strukturelle Ungleichbehandlung zu sprechen, wird das Problem aus den Universitäten ausgeladen und unter dem Stichwort Vereinbarkeit einseitig den Wissenschaftlerinnen aufgebürdet. Obwohl diese Tatsachen bekannt sind, wird die Frage, ob wissenschaftliche Prekarität mit dem Geschlecht verbunden ist, selten gestellt. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass die Befristung des sogenannten wissenschaftlichen „Nachwuchses“ – in der Forschung wird darunter das hauptamtliche wissenschaftliche und künstlerische Personal unter 45 Jahren ohne Professur auf Lebenszeit verstanden – universell und somit als geschlechtslos erscheint: Die Befristungsquote liegt laut Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs für beide Geschlechter bei sagenumwobenen 93 Prozent.
Dennoch existieren Geschlechterungleichheiten bei den Arbeitsverhältnissen. So ist in Nordrhein-Westfalen nur ein Drittel der entfristeten Stellen im Mittelbau mit Frauen besetzt, obwohl der Frauenanteil am Mittelbau mit 41 Prozent deutlich höher ausfällt. Bundesweit haben rund zwei Drittel des männlichen Nachwuchses (68 Prozent) ein Stellenvolumen von mindestens 32 Stunden pro Woche, während nur knapp die Hälfte der Frauen dieses Arbeitsvolumen erreichen (54 Prozent). Hierbei spielt übrigens die Fächergruppe keine Rolle. Werden einzelne Fächergruppen betrachtet, so erreichen durchweg die Männer ein höheres bezahltes Arbeitsvolumen als die Frauen. Dass es sich hierbei um erwünschte Teilzeit handelt, ist höchst unwahrscheinlich, wird in der Wissenschaft doch allzu oft auch bei einer halben Stelle mindestens ein Engagement auf dem Niveau einer Vollzeitstelle erwartet.
Dies zeigt, dass die Chancen, im Wissenschaftssystem zu verbleiben, ungleich verteilt sind. Zugleich werfen die Zahlen die Frage auf, inwiefern es den Hochschulen tatsächlich gelungen ist, eine substantielle Gleichstellungskultur zu etablieren. Das Stereotyp des genialen Wissenschaftlers, der frei von anderen Verpflichtungen sein Leben der Forschung widmet und Wissenschaft als Berufung begreift, scheint unterschwellig weiterhin präsent zu sein. Dabei ist dieses Idealbild nicht nur ein wirksames Instrument zur Dethematisierung von Prekarität, sondern es trägt immer noch zum Ausschluss von Frauen aus der Wissenschaft bei: Wer benötigt schon Geschlechtergerechtigkeit und eine entfristete Dauerstelle, wenn es um Selbstverwirklichung und Forschung aus Leidenschaft geht?