Legal-Techs in der Arbeitswelt : Abfindung vom Roboter
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Was darf bei Gerichtsentscheidungen geschwärzt werden? NRW muss die Richtlinie zur Publikation von Urteilen offenbaren. Bild: Archiv
Jede Menge Legal-Tech-Unternehmen versprechen Hilfe in arbeitsrechtlichen Fällen. Aber man sollte ihre Grenzen kennen.
Kostenlose Rechtsberatung, bequem von der Couch. Nutzer der Legal-Plattform Conny können ihre Abfindungen beim ehemaligen Chef geltend machen, ohne das Haus zu verlassen. Sie geben auf dem Laptop Daten wie das Kündigungsdatum, die Beschäftigungsdauer oder das monatliche Bruttogehalt ein. Ein Algorithmus berechnet daraus die mögliche Höhe der Abfindung, die der ehemalige Arbeitgeber zahlen muss – und wie wahrscheinlich die Durchsetzung ist. Stimmt der Nutzer zu, vermittelt das Programm einen Anwalt aus dem Netzwerk der Tech-Plattform. Der setzt sich mit seinem Mandanten in Verbindung und kontaktiert den ehemaligen Chef. Im besten Fall hat der Arbeitnehmer ein paar Tage später seine Abfindung auf dem Konto. Davon muss er eine Provision an das Legal Tech zahlen. Conny übernimmt alle Anwalts- oder Gerichtskosten – auch wenn der Anwalt nicht erfolgreich ist.
Conny ist eines von mehr als 190 Legal-Tech-Unternehmen, die in der Online-Datenbank „Legal Tech in Deutschland“ erfasst sind. Legal Techs sind digitale Technologien, die juristische Verfahren automatisieren. „Das Angebot ist riesig und wächst“, sagt Daniel Timmermann, Rechtswissenschaftler an der Universität Halle-Wittenberg. Bekannt wurden die Plattformen mit Rechtsangeboten zu Fluggastentschädigungen und Bußgeldbescheiden aus dem Straßenverkehr – oder wie My Right durch Diesel-Klagen gegen VW. Conny vertritt mit der Marke Wenigermiete.de auch Mieter wegen Klagen gegen die Mietpreisbremse.
Längst sind die maschinellen Berater auch in der Arbeitswelt angekommen. Neben Abfindungsansprüchen prüfen sie, ob gekündigte Arbeitnehmer offene Urlaubsansprüche haben oder ob Hartz-IV-Berechtigte mehr Geld vom Jobcenter fordern können. Dabei wollen die Plattformen vor allem jene Menschen erreichen, die sonst nicht zum Anwalt gehen würden. Die Hürde, einen Anwalt aufzusuchen, ist für viele Menschen nämlich hoch. Besonders wenn es um geringe Streitwerte geht. Wer spricht schon gerne mit einem Fremden über seine Kündigung? Die digitalen Abfindungschecks von Conny und Co. bieten da eine Alternative. „Vielen fällt es leichter, ihr Anliegen zunächst in einer digitalen Maske einzugeben“, sagt Timmermann.
Wenn die Software empfiehlt, den Mandanten abzulehnen
Aber in Sachen Transparenz ist Luft nach oben. Welche Anwälte hinter den Plattformen stehen, können Nutzer schwer nachvollziehen. Auf der Seite von My Right etwa finden sich dazu kaum Angaben. Nur so viel: „Unsere Vertragsanwälte sind erfahrene Experten im Arbeitsrecht.“ Nachprüfen können das Nutzer nicht wirklich. „Wir arbeiten daran, das für unsere Kunden transparenter zu machen“, sagt ein Sprecher.
Auch wer individuelle Rechtsberatung in einem schwierigen Fall sucht, stößt bei Legal Techs an Grenzen. Sie sind längst nicht so weit, auch komplizierte Fälle zu lösen oder situativ zu reagieren. „Die Programme können bisher nur standardisierte Fälle prüfen, die sie immer nach demselben Schema bearbeiten“, sagt Timmermann. Eine Art Roboter-Prüfung. Sobald ein Fall komplexere rechtliche Prüfung erfordere, seien Menschen gefragt. Gleichwohl suggerierten viele Internetseiten, dass die Software genauso gut arbeitet wie Anwälte. Das sei aber nicht der Fall. „Die Programme sind meist ein Instrument zur Akquise, um Kunden anzulocken oder Daten zu erfassen.“ Die rechtliche Prüfung müsse immer noch ein Anwalt übernehmen.
Die meisten Legal-Tech-Anwendungen im Arbeitsrecht spezialisieren sich deshalb auf die Prüfung von Abfindungsansprüchen und Kündigungen. In solchen Fällen können Programme meist anhand weniger Kennzahlen die Erfolgswahrscheinlichkeit des Falls berechnen. Für Mandanten ist das nicht unbedingt von Vorteil: Wenn die berechnete Chance auf Erfolg zu gering ist, empfiehlt die Software, den Mandanten abzulehnen.
My Right und Conny finanzieren ihre Dienste für Arbeitnehmer wie viele Legal-Tech-Plattformen über Prozessfinanzierungen. Wenn der Arbeitgeber eine Abfindung zahlt, behält das Unternehmen einen Teil des Gewinns. Bei My Right sind das 25 Prozent, Conny bestimmt die Höhe der Provision nach Einzelfall.
Für die Mandanten lohnt sich eine Prozessfinanzierung vor allem bei kleineren Summen. Bei größeren Abfindungssummen steigt auch die Provision. Ein Festpreis ist dann oft günstiger. Wichtig sind zudem Informationen, welche Kosten im Laufe des Prozesses noch anfallen könnten. Denn der Finanzier führt einen Prozess nur, solange er Aussicht auf Erfolg hat. Sollten sich die Bedingungen des Falls verändern, zum Beispiel durch eine Revision oder nach einer geänderten Rechtsprechung, behalten sich manche Plattformen vor, aus dem Prozess auszusteigen. Der Mandant steht dann wieder allein da und muss alle danach entstehenden Kosten übernehmen.
Andere Legal Techs kooperieren mit Rechtsschutzversicherungen. Die übernehmen dann auch alle Kosten für den Versicherungsnehmer. Dennoch müssen die Versicherten auch hier die Anwälte der Plattform akzeptieren. Obwohl sie mit einer Rechtsschutzversicherung ihren Anwalt eigentlich frei wählen dürften. „Damit verzichten die Versicherten auf einen großen Vorteil ihrer Rechtsschutzversicherung“, sagt Markus Hartung, Rechtsanwalt und Partner der Kanzlei Chevalier für Arbeitsrecht. Auch bei Chevalier können Mandanten ihre Ansprüche in einem digitalen Schnellcheck prüfen. Damit verbinden Hartung und seine Kollegen das klassische Kanzleigeschäft mit Legal-Tech-Anwendungen. Denn ganz ersetzen könne die Maschine den Anwalt nie, sagt er: „Am Ende ist es immer der Anwalt, der den Mandanten vor Gericht vertritt. Die Programme können ihn dabei nur unterstützen.“