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Zwangsgedanken : Könnte ich mein Kind wirklich töten?

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„Gleich schmeiße ich das Kind auf den Boden.“ Schlimme Zwangsgedanken machen den Alltag einer Mutter zur Tortur. Bild: Getty

Sie führt ein rundum glückliches Familienleben – das zumindest denken die meisten von ihr. Hinter ihrer geschminkten Fassade bestimmen schlimme Zwangsgedanken ihr Leben. Gedankenprotokoll einer Mutter, aufgezeichnet von Katrin Hummel.

          7 Min.

          Ich bin eine ganz normale Frau. Ich habe eine glückliche Beziehung und Freundinnen, die mich als liebenswert, attraktiv und erfolgreich ansehen. Ich liebe meine Eltern und meine kleine Tochter, und um Geld brauchen wir uns auch keine Sorgen zu machen. Von außen betrachtet, wirkt mein Leben schön.

          Dann ist da noch die Innenansicht. Meine Freundinnen und Kollegen wissen nichts davon, mir ist es unangenehm, darüber zu sprechen. Ich habe Angst, dass sie mich sonst als „Psycho“ sehen und dass ich sie verliere. Eine sehr realistische Angst, wie ich erfahren musste: Einer Bekannten habe ich mal ein bisschen was über mich erzählt, weil ich hoffte, sie würde mich trösten. Seitdem meidet sie mich. Und die Tochter einer anderen Bekannten darf sich nicht mehr mit meiner Tochter verabreden. Das verletzt mich und macht mich traurig. Hier erzähle ich trotzdem, wie es in mir aussieht. Weil ich will, dass die Leute merken, dass man beides sein kann: liebenswert und psychisch angeschlagen.

          Meine psychischen Probleme führen dazu, dass ich nur nach außen hin glücklich wirke. In meinem Kopf sieht es häufig ganz anders aus: Ich leide Höllenqualen. Es gibt Momente, da stehe ich völlig neben mir und bin in meinem Gedankenkarussell gefangen.

          Ich stelle mich und meine Gedanken in Frage

          Ich habe Zwangsgedanken. Wenn ich zum Beispiel den Messerblock in der Küche sehe, der in der Ecke neben Wasserkocher und Kaffeemaschine auf der Anrichte steht, denke ich, ich könnte damit auf unsere kleine Tochter losgehen. Oder meinen Mann erstechen. Oder die Freundinnen meiner Tochter, die im Kinderzimmer auf dem Teppich sitzen und spielen. Wenn meine Tochter beim Gemüseschnibbeln in der Küche neben mir steht, verspanne ich. Wenn ich meine Eltern besuche, die eine Metzgerei betreiben, auch. Immer ist da diese Angst, ich könnte das tun. Und diese Frage im Kopf: „Könnte ich das wirklich tun?“ Es gab eine Zeit, da haben solche Gedanken mein Leben in einen Albtraum verwandelt. Da konnte ich an nichts anderes mehr denken. Daraus resultierten ganz starke Spannungsgefühle im ganzen Körper. Als sei ich gar nicht mehr in der Realität, sondern ganz gefangen in dem Schrecken. Also nicht nur eine geistige, sondern zusätzlich eine körperliche Erschütterung, ganz furchtbar.

          Wenn ich heute solche Gedanken habe, versuche ich, an etwas anderes zu denken und mich zu entspannen. Nicht immer gelingt mir das, meist ist das sogar kontraproduktiv, und die Gedanken werden dann noch schlimmer. Versuchen Sie zum Beispiel mal, jetzt nicht an eine rote Spinne zu denken. Sie werden sehen, das klappt nicht.

          Das fehlende Urvertrauen

          Ich traue meinen Gedanken auch oft nicht über den Weg, obwohl ich weiß, dass ich diese Zwangsgedanken niemals ausführen werde. Ich stelle mich ständig selbst in Frage. Grund dafür, das habe ich mit Hilfe einer Psychotherapeutin herausgefunden, ist mein nicht vorhandenes Urvertrauen. Alle meine Probleme haben mit meiner Ängstlichkeit und meinem kaum vorhandenen Selbstbewusstsein zu tun. Die Psychologin hat mir erklärt, dass die Ursachen dafür wahrscheinlich in meiner Kindheit liegen. Auf einer rationalen Ebene weiß ich, dass sie recht hat, denn meine Schwester hat ähnliche Probleme wie ich. Aber eigentlich denke ich auch heute noch: Ich hatte eine schöne Kindheit.

          Konkret sah die so aus: Meine Eltern hatte sehr wenig Zeit für mich. Zehn Tage nach der Entbindung stand meine Mutter schon wieder Vollzeit im Laden, und mein Vater sowieso. Die Firma war immer wichtiger als alles andere. Es hieß immer: Arbeiten, Leistung bringen, Geld verdienen. Meine Schwester und ich wurden herumgereicht von einem Verwandten und Mitarbeiter zum anderen. Gestillt wurden wir auch nicht. Meine Psychologin hat mir erklärt: „Ihre Emotionen wurden nicht genügend zurückgespiegelt. Sie wurden zwar geliebt, haben das aber nicht gespürt. Deswegen haben Sie kein Urvertrauen.“

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