10 Downing Street : Gebautes Understatement für den Premierminister
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Außen Reihenhaus, innen Villa: Luftbild der Downing Street Bild: mauritius images / Commission Ai
Von außen ein Reihenhaus, von innen eine pompöse Villa: 10 Downing Street ist der Amtssitz des britischen Regierungschef. Früher wohnte dort ein Mann aus Hannover.
Das Haus 10 Downing Street in London bekommt wieder einmal einen neuen Bewohner: Boris Johnson. Die Adresse ist weltbekannt, seit fast 300 Jahren hat der britische Premierminister an der Seitenstraße von Whitehall seinen Sitz. Die Haustür ist schwer gesichert, von außen gibt es kein Schlüsselloch. Die Straße davor ist abgesperrt. Hinter der Fassade wurde im Laufe der Zeit immer wieder um- und neugebaut.
Durch Mauerdurchbrüche ist die Nummer 10 mit der Nummer 11 verbunden, der offiziellen Residenz des Schatzkanzlers. Von außen sieht es noch nach Reihenhaus aus, innen aber ist es mehr ein Palast mit 100 Räumen. Sozusagen gebautes britisches Understatement.
Der Name der Straße geht auf George Downing zurück. Sir George hatte sich im 17. Jahrhundert als Soldat, Diplomat und, wie manche auch sagen, Spion unter Oliver Cromwell und König Karl II. derart Anerkennung erworben, dass der König ihn mit einem Stück Land belohnte, direkt am St. James’s Park gelegen. Downing war wohl auch ein geschickter Grundstücksspekulant, er ließ eine Reihenhauszeile bauen, die Straße hieß da noch Cockpit – Hahnenkampf.
Eine politische Adresse wurde die Nummer 10 erst durch einen Mann aus Hannover: Hans Caspar Graf von Bothmer. 1714 wurde der hannoversche Kurfürst Georg Ludwig auch englischer König – als Nachfolger der kinderlos gebliebenen Königin Anne. Das hing zusammen mit den Bestimmungen des „Act of Settlement“, der Grundlage für die protestantische Thronfolge. Georg I. begründete die Personalunion zwischen Großbritannien und Hannover, die bis 1837 bestehen blieb.
Das „Bothmer-House“
Als Verbindungsglied zwischen Hannover und England fungierte die überaus einflussreiche „Deutsche Kanzlei“. Deren Leiter wurden zwar schon Premierminister genannt, aber das war nicht vergleichbar mit dem Premier von heute. Bothmer, der maßgeblich daran beteiligt war, Georg den englischen Thron zu sichern (unter anderem weil er im Gegensatz zu dem König Englisch sprach), wurde zuerst Minister, dann Erster Minister für die deutschen Angelegenheiten. Der offizielle Sitz der Deutschen Kanzlei war im St. James’s Palace, Bothmer jedoch wohnte in 10 Downing Street. Die Londoner sprachen von „Bothmer-House“. Dort gab er große Gesellschaften, einer seiner Gäste dürfte etwa Georg Friedrich Händel gewesen sein. Der deutsche Komponist lebte in London und unterrichtete unter anderen die Tochter des Königs Georg II., Prinzessin Anne.
Bothmer ist noch aus einem anderen Grund berühmt geworden: Dank seiner hannoverschen Verbindungen konnte er sich mit dem in London erworbenen Reichtum in Mecklenburg, im Klützer Winkel nahe der Ostsee, einen gewaltigen Besitz zusammenkaufen, am Ende zehn Güter mit fast 8000 Hektar Land, sozusagen eine eigene Grafschaft. Dabei half ihm, dass acht Ämter an den Kurfürsten von Hannover verpfändet waren, weil der mecklenburgische Herzog unter Reichsexekution stand, nachdem die vereinten Landesstände gegen ihn wegen zu hoher Steuern geklagt hatten. Nahe Klütz ließ sich Bothmer einen Familienbesitz bauen, heute Schloss Bothmer genannt.
Sein Leitspruch lautete: respice finem, bedenke das Ende. So steht es bis heute in Goldbuchstaben über dem Hauptgebäude. Bis 1945 blieb die Anlage im Besitz der Bothmers. In der DDR-Zeit wurde das Schloss als Altenheim genutzt, dann drohte der Verfall. Vor einigen Jahren hat das Land Mecklenburg-Vorpommern den Komplex gekauft und aufwendig restauriert. Bothmer hat sein Schloss im Klützer Winkel nie fertig gesehen, er starb 1732.
Amtssitz des Premiers ab 1732
Nach Bothmers Tod vermachte Georg II. 10 Downing Street an Robert Walpole, seinen „Ersten Lord des Schatzamtes“, der als erster Premierminister des Vereinigten Königreichs gilt. Seitdem ist die Adresse offizieller Amts- und Wohnsitz des Premiers. Rein praktisch ist es allerdings so, dass Premier und Schatzkanzler auch mal die Häuser tauschen. Als Tony Blair 1997 Premierminister wurde, zog er mit seiner großen Familie in die geräumigere Nummer 11, sein Schatzkanzler Gordon Brown hingegen in die 10.
Unter Harold Wilson, Premierminister von 1964 bis 1970 und von 1974 bis 1976, wurde das Haus so grundlegend renoviert, dass es am Ende einem Neubau gleichkam. Nachdem 1991 IRA-Terroristen einen Angriff mit Granaten auf das Haus verübt hatten, wurden die Sicherheitsmaßnahmen verschärft, ebenso nach dem 11. September 2001.
Für die innere Sicherheit ist auch Larry zuständig, Chief Mouser to the Cabinet Office, also die Katze, die dort ihren Dienst als Mäusefänger verrichtet. Die erste Aufgabe des neuen Premierministers, so meint die BBC: die Katze zu beeindrucken. Unklar ist am Mittwoch noch, ob Boris Johnson auch das gelingt.