Giuseppe Conte bei seinem Besuch der der umstrittenen Hochwasserschutzanlage für die Lagunenstadt. Bild: EPA
Sie hat sechs Milliarden Euro verschlungen und war Teil eines monumentalen Korruptionsskandals: Die riesige Anlage mit dem Namen des Propheten soll Venedigs Altstadt vor den Fluten schützen und ist so gut wie fertig. Dass sie auch funktioniert, bezweifeln aber viele.
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Am Freitag reiste das halbe italienische Kabinett unter Führung von Ministerpräsident Giuseppe Conte von Rom nach Venedig. Anlass war der erste vollständige Testlauf des sogenannten Mose-Projekts, der umstrittenen Hochwasserschutzanlage für die Lagunenstadt. Erstmals sollten alle 78 beweglichen Fluttore aufgerichtet werden und die drei Verbindungen zwischen Lagune und offenem Meer gänzlich verschließen. Der Test begann mit einem denkbar unspektakulären Vorgang – dem Tastendruck auf einem Laptop, der mit der Steuerung der Anlage verbunden war.
Erste Pläne für den Bau einer künstlichen Barriere in den drei Durchgängen von der Adria in die Lagune gab es schon vor gut einem halben Jahrhundert, nachdem am 4.November 1966 das Acqua Alta (Hochwasser) die Rekordmarke von 194 Zentimetern erreicht und schwerste Schäden in der Altstadt angerichtet hatte. Machbarkeitsstudien wurden aber erst 1984 in Auftrag gegeben. Seinerzeit regierte in Rom der Sozialist Bettino Craxi. Vier Jahre später stellte Craxis damaliger Stellvertreter Gianni De Michelis, Venezianer durch und durch, das erste Modell für die Hochwasserbarriere vor und taufte es auf den bis heute gebräuchlichen Namen Modulo Sperimentale Elettromeccanico (Elektromechanisches Experimentalmodul), abgekürzt Mose. De Michelis kündigte die Fertigstellung des historischen Projekts bis 1995 an.
Craxi und De Michelis sollten später wegen Bestechlichkeit zu Gefängnisstrafen verurteilt werden. Ihre Straftaten hingen zwar nicht mit dem Mose-Projekt zusammen, mochten aber ein schlechtes Omen für das größte Infrastrukturvorhaben Italiens seit Ende des Zweiten Weltkriegs sein. Den ersten Spatenstich für das Großprojekt setzte im März 2003 der damalige Ministerpräsident Silvio Berlusconi. Als Fertigstellungstermin wurde 2016 angepeilt.
Inzwischen sind rund sechs Milliarden Euro verbaut worden. Politischer Streit, Auseinandersetzungen vor Gericht und ein monumentaler Korruptionsskandal, in den fast die gesamte politische Führung der Stadt Venedig und der Region Venetien verwickelt war, verzögerten die Bauarbeiten immer wieder. Fünf Jahre lang standen die Arbeiten ganz still.
Schutz schon in der kommenden Hochwassersaison
Beim Testlauf am Freitag versprach Regierungschef Conte, die Bauarbeiten würden bis zum Herbst abgeschlossen sein. Schon in diesem Jahr, wenn zur „Hochwassersaison“ im November und Dezember die Straßen der Altstadt wieder überflutet zu werden drohen, soll Mose Schutz bieten. Die vollständige Funktionsfähigkeit des Projekts werde dann Ende 2021 erreicht.
Dass die Anlage ihren Zweck jemals vollständig erfüllen wird, bezweifeln allerdings viele. Die tonnenschweren Fluttore aus Stahl sind in Betonkästen auf dem Meeresboden verankert, jeweils 20 Meter breit und zwischen 20 und 30 Meter hoch. Um sie aufzurichten, werden bis zu 3000 Kubikmeter Luft in die hohlen Stahlelemente gepumpt, nach rund 30 Minuten sind sie vollständig aufgetaucht. Die Elemente stehen nicht senkrecht zur Wasseroberfläche, sondern in einer Neigung von 45 Grad. Sie sollen einer Pegeldifferenz von bis zu zwei Metern standhalten. Nach dem Rückgang des Hochwassers soll das Sperrwerk wieder unter der Meeresoberfläche verschwinden.
Kanäle für immer größere Kreuzfahrtschiffe
An den schon vor Jahren versenkten Stahlelementen sowie an den Halterungen aus Stahlbeton gibt es inzwischen manche Schäden. Umweltschützer sind zudem überzeugt, dass wegen des Anstiegs der Meeresspiegel in Folge des Klimawandels die Anlage schon jetzt zu niedrig ist. Außerdem habe das Ausbaggern der Kanäle für immer größere Kreuzfahrtschiffe dazu geführt, dass das Meerwasser auch schon bei geringem Hochwasser immer weiter in die Stadt vordringe.
Zu den Protesten gegen das Bauwerk, die es auch am Freitag gab, sagte Conte unter Bezugnahme auf die Dialektik des deutschen Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Die Zweifler an Mose seien die Antithese zu den thetischen Befürwortern des Baus, woraus dann die Synthese erwachse, dass das fertiggestellte Bauwerk allen gleichermaßen nütze. Die Kosten für den Testlauf vom Freitag beliefen sich nach Medienberichten auf 45.000 Euro. Im Vergleich zu den jährlichen Betriebs- und Unterhaltskosten von rund hundert Millionen Euro fällt das kaum ins Gewicht.