Flugzeugabsturz in die Ostsee : Die Sauerstoffmaske blieb ungenutzt hängen
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Die letzte bekannte Position der Cessna mit der Kennung OE-FGR, die auf ein deutsches Unternehmen zugelassen sein soll, liegt etwa vier Meilen nordwestlich der lettischen Stadt Ventspils. Bild: dpa
Anfang September flog eine Cessna stundenlang führungslos durch den westeuropäischen Luftraum. Ein Bericht von Unfallforschern gibt nun Hinweise: Der Pilot griff wohl nach einem Druckabfall nicht rechtzeitig zur Sauerstoffmaske.
Zum dramatischen Geisterflug einer Cessna 551, die Anfang September stundenlang führungslos quer durch den westeuropäischen Luftraum unterwegs war, bis sie in die Ostsee stürzte, kam es vermutlich aufgrund einer fatalen Fehlleistung des Piloten. Der nun von der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung (BFU) veröffentlichte Zwischenbericht legt nahe, dass der Pilot nach einem Druckabfall nicht rechtzeitig zur Sauerstoffmaske griff. Die Fachleute werteten unter anderem Funksprüche, Flugdaten, Wartungsprotokolle und Fotos aus. Als besonders aufschlussreich erwiesen sich die Fotos, die zwei Piloten der französischen Alarmrotte machten. Die Bilder zeigen, so heißt es im BFU-Bericht, „das äußerlich unbeschädigt wirkende Flugzeug sowie den handlungsunfähigen Piloten auf dem linken Sitz und seine an ihrem Platz im Cockpit hängende unbenutzte Sauerstoffmaske“.
Der 72 Jahre alte Kölner Unternehmer Peter Griesemann war mit der Maschine am 4. September um kurz vor 15 Uhr im südspanischen Jerez gestartet; mit an Bord waren seine Frau, die gemeinsame erwachsene Tochter und deren Freund. Das Ziel der Familie: der Flughafen Köln/Bonn. Zwölf Minuten nachdem die Cessna ihre Reiseflughöhe erreicht hatte, meldete Griesemann zunächst Probleme mit der Klimaanlage, um sechs Sekunden später zu korrigieren, es habe einen Druckabfall gegeben. Zudem bat er um Erlaubnis zur sofortigen Notlandung. Es war der letzte Funkspruch Griesemanns, den die spanische Flugsicherung aufzeichnete.
Rätselhaft bleibt, warum Griesemann – der mit rund 1700 Flugstunden als erfahrener Pilot galt – allem Anschein nach noch nicht einmal versuchte, die Sauerstoffmaske aufzusetzen. Bei einem Druckabfall müssen die Flugzeuginsassen umgehend mit Sauerstoff versorgt werden, um nicht ohnmächtig zu werden. Das Notverfahren sieht für den Piloten zwingend vor, zunächst die Maske aufzusetzen, den Sauerstoff fließen zu lassen und danach alle erforderlichen Maßnahmen für eine Notlandung einzuleiten. In die Sauerstoffmasken der Piloten sind zu diesem Zweck Mikrofone eingebaut.
Ob die drei Familienmitglieder ihre Masken noch aufsetzen konnten, geht aus dem Bericht nicht hervor. In der Aufzeichnung von Griesemanns letztem Funkspruch sind laut BFU jedoch „deutliche Hintergrundgeräusche zu hören“. Wer oder was sie verursachte, vermerken die Unfallforscher nicht. In dem Bericht findet sich dafür ein weiteres Detail, das bisher nicht bekannt war: Neben Griesemann hatte auch „einer der Fluggäste“ eine Lizenz für Berufspiloten, die aber Ende 2021 ausgelaufen war. Aus dem Bericht ergeben sich keine Hinweise darauf, ob diese Person versuchte einzugreifen. Einen Stimmenrekorder hatte die Cessna nicht. Das BFU weist ausdrücklich darauf hin, dass seine Untersuchung nicht dazu dient, die Schuldfrage zu klären.
Ging in den Sinkflug, weil der Treibstoff aus war
Als der Kontakt mit der Flugsicherung am 4. September abgebrochen war, setzte die Maschine ihren voreingestellten Kurs auf Köln fort, flog dann aber allem Anschein nach im „Hold-Modus“ über die Stadt hinweg und verließ schließlich am frühen Abend nordöstlich von Rügen den deutschen Luftraum. Zuletzt wurde sie von Piloten einer in Estland stationierten Alarmrotte der NATO begleitet, bis sie kreiselnd in den Sinkflug überging, weil kein Treibstoff mehr vorhanden war. Wie aus dem BFU-Bericht hervorgeht, beobachteten die NATO-Piloten die Cessna bis zu ihrem Aufprall in der Ostsee und dokumentierten die Position der Unfallstelle. Wenige Stunden später konnte die Suchmannschaft ein 100 mal 150 Meter großes Trümmerfeld am Meeresboden lokalisieren.