Der Irak trocknet aus : Ein Schleier von Sand und Staub
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Bagdad in orangefarbenem Licht: Die Ursachen der Sandstürme wie abnehmende Niederschläge und zunehmende Dürre verschärfen sich seit Jahren. Bild: dpa
Die Zahl der Sandstürme im Irak hat dramatisch zugenommen. Tausende Menschen mussten in Krankenhäuser. Und das ist laut Klimaprognosen erst der Anfang.
Es wird für die Iraker langsam zur Gewohnheit. Ein Schleier von Sand und Staub legt sich über die Städte, zeichnet das Straßenbild weich, taucht sie in orangefarbenes Licht, kriecht in die Häuser, nimmt den Menschen die Sicht. Der Flugverkehr wird gestoppt, Schulen und Amtsstuben werden geschlossen. Die Behörden rufen dazu auf, zu Hause zu bleiben.
Am Montag war es wieder einmal so weit: Ein neuer Sandsturm brachte das öffentliche Leben in mehreren Teilen des Landes zum Erliegen. Solche extremen Wetterlagen sind nichts Neues, die Region wurde schon immer von Staub- und Sandstürmen heimgesucht. Aber deren Zahl hat in den vergangenen Jahren dramatisch zugenommen – und sie sind extremer geworden. Mindestens neun heftige Sandstürme hat es im Irak seit April schon gegeben. Tausende Menschen mussten wegen Atemproblemen in ein Krankenhaus gebracht werden.
Bis zu 272 „Staubtage“ im Jahr
Es wird befürchtet, dass sich dieser unheilvolle Trend fortsetzt und solche meteorologischen Ausnahmezustände zur Regel werden. Ein Funktionär des irakischen Umweltministeriums warnte im April, in den nächsten zwei Jahrzehnten könnten dem Land jährlich 272 „Staubtage“ bevorstehen. Die Prognose des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) fällt sogar noch finsterer aus: Demnach kann es im Irak bis 2026 zu etwa 300 solcher Ereignisse pro Jahr kommen.
Die Ursachen der Sandstürme – abnehmende Niederschläge, zunehmende Dürre und Wüstenbildung – verschärfen sich seit Jahren. Der Irak, ein Land mit 41 Millionen Einwohnern, wird als eines der fünf Länder der Welt eingestuft, die am stärksten von Klimawandel und Wüstenbildung betroffen sind. Die Niederschläge waren zuletzt rekordverdächtig gering, sie könnten laut Vorhersagen bis 2050 um etwa neun Prozent sinken.
Ganz im Gegensatz zu den Temperaturen, die regelmäßig oberhalb der 50-Grad-Marke liegen. So drohen längere Dürreperioden, gehen die Wasservorräte des ölreichen Landes stetig zurück. Das Ministerium für Wasserressourcen hat davor gewarnt, dass die beiden großen, berühmten irakischen Flüsse, der Tigris und der Euphrat, innerhalb von 20 Jahren austrocknen könnten. Schon in diesem Jahr gab es in der Hauptstadt kuriose Szenen, die auf Videos festgehalten wurden. Sie zeigten etwa einen Jungen, der durch den knöcheltiefen Tigris rannte, sich sogar in der Mitte des Flusses hinlegen konnte. Ein Zuschauer rief: „Wo ist das Wasser?“
Im November warnte die Weltbank, die irakischen Wasserressourcen könnten als Folge des Klimawandels bis zum Jahr 2050 um 20 Prozent schrumpfen. Der Klimawandel, den Experten und Regierungsfunktionäre mit den Sandstürmen in Verbindung bringen, ist nur eine der treibenden Kräfte. Andere Ursachen sind Überweidung, Überbeanspruchung und Verschmutzung der Flüsse – und Staudämme.
„Die Flüsse sind wie der Blutkreislauf des Landes. Sie werden ständig unterbrochen“, sagt Nabil Musa, ein Umweltaktivist der Organisation Waterkeepers Iraq. Aber er könne nicht erkennen, dass die politische Klasse seines Landes in der Lage wäre, all diese Probleme anzugehen. Korruption und Unfähigkeit seien das eine, erklärt er. Er weist aber auch darauf hin, dass der Irak in der jüngeren Vergangenheit die meiste Zeit von Krieg, Bürgerkrieg oder Terrorismus erschüttert gewesen ist: „Wir hatten doch kaum Gelegenheit zu erkennen, dass wir ein Problem haben.“
„Heute sind sie eine Quelle des Todes“
Auch andere Beobachter sind besorgt darüber, dass die Führung des Landes keine Antworten auf die immensen Herausforderungen hat. Korruption, klientelistische Netzwerke und die Politisierung der staatlichen Institutionen stehen dem im Weg. „Die Auswirkungen des Klimawandels sind in mehreren kritischen Sektoren zu spüren: Landwirtschaft, Wasser, Wirtschaft, öffentliche Gesundheit und Umwelt. Und sie betreffen unmittelbar das Leben der irakischen Bürger“, heißt es in einem Bericht der Denkfabriken Norwegian Institute of International Affairs und Stockholm International Peace Research Institute. „Die Reaktionen auf den Klimawandel sind jedoch unzureichend und werden durch gewaltsame Konflikte, politischen Wettbewerb, Korruption und fehlende finanzielle Mittel erheblich beeinträchtigt.“ Sollten diese Probleme ungelöst bleiben, so heißt es weiter, würden sie Armut und Unsicherheit verschärfen und könnten zu sozialen Unruhen und weiterer Instabilität führen.
Nicht nur innere Probleme führen dazu, dass der Irak immer weiter austrocknet. Auch mächtige Nachbarstaaten wie die Türkei und Iran haben daran ihren Anteil. „80 Prozent des irakischen Wassers wird von ihnen kontrolliert“, sagt der irakische Wasserwächter Nabil Musa. Er trauert den Flüssen hinterher, in denen er schwimmen lernte oder fischte – und aus denen er heute nicht einmal mehr zu trinken wagt. „Früher waren die Flüsse eine Quelle des Lebens“, sagt Musa. „Heute sind sie eine Quelle des Todes.“