Unglück in Genua
Einsturz einer Autobahnbrücke
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Herausgegeben von Gerald Braunberger, Jürgen Kaube, Carsten Knop, Berthold Kohler
Eingestürzte Brücke in Genua: „Heute kann man das viel besser machen.“ Bild: dpa
Der Einsturz der Brücke in Italien wirft viele Fragen auf. Antonio Brencich, Professor für Bauwesen an der Universität Genua, hält es für am wahrscheinlichsten, dass eines der Tragseile gerissen ist. Ein Interview.
Prof. Brencich, wie kann eine Brücke so plötzlich einstürzen, wenn sie von einer Aufsichtsbehörde überwacht und von Autobahnbetreibern gewartet wird, vielleicht auch von manchem Professor aus Mailand?
Es ist in diesem Moment schwierig zu sagen, was der Grund des Einsturzes war. Diese Brücke wurde bis ins Detail von einem Pool von Experten ersten Ranges überwacht. An Geld hat es nie gemangelt. Es gab ein ständiges Überwachungssystem. Deshalb war das keine vernachlässigte Brücke. Man wusste gut Bescheid über die Alterung der Baumaterialien, gerade deshalb wurde die Brücke gut überwacht. Es gab ständig Instandhaltungsmaßnahmen. Deshalb lässt sich sagen, dass die Brücke nicht oberflächlich behandelt wurde. Sicher, irgendetwas hat nicht funktioniert, doch es ist zu früh, um genau zu sagen, woran es gelegen hat.
Wie groß ist die Gefahr bei der gewissenhaften Kontrolle Stellen zu übersehen? Müsste man Sensoren einbauen?
Die Sensoren gab es. Aber nicht immer kann man alle Elemente überwachen, die einen Einsturz hervorrufen könnten. Wenn zum Beispiel der Einsturz durch den Riss eines Tragseils hervorgerufen wurde, wäre die Überwachung unmöglich gewesen und es wäre unvermutet und ohne Vorwarnung zum Einsturz gekommen. Für mich ist die Möglichkeit eines gerissenen Tragseils der Grund mit der höchsten Wahrscheinlichkeit, aber es bleibt eine These.
Brachte diese Art der Konstruktion besondere Risiken und Probleme mit sich? Kann man das heute besser machen?
Diese Konstruktion verwendete Tragseile, die im Voraus zusammengepresst worden waren, nach einem Patent des Brückenarchitekten Riccardo Morandi. Das System wurde nur für wenige Brücken von Morandi benutzt und dann nie wieder. Heute kann man das viel besser machen. Schon vor 51 Jahren ging es viel besser – Fritz Leonhardt aus München war ein Pionier in dieser Technik. Diese Art des Brückenbaus war zum Scheitern verurteilt, man baute nur drei davon, und das will etwas heißen.
Einsturz einer Autobahnbrücke
Gab es Fehler während des Baus oder wurde minderwertiges Material benutzt?
Nein, weder Baufehler noch minderwertiges Material. Womöglich aber Konstruktionsfehler, die schon damals fragwürdig erschienen.
Hätte man nachträglich die Tragseile aller drei Pfeiler erneuern sollen und nicht nur die eines einzigen?
Das hängt von der Korrosion ab. Dazu kenne ich die Daten nicht. Wenn nur die Tragseile eines Pfeilers erneuert wurden, dann schließe ich daraus, dass der mehr verwittert war als alle anderen. Doch seit dieser Erneuerung sind 28 Jahre vergangen und das darf man nicht vergessen.
Viele Genuesen sagen, dass die Brücke beim Drüberfahren gewackelt hat. Könnte das an den vielen Lastwagen gelegen haben?
Ja, es ist wahr, dass sie gewackelt hat, das habe ich auch gemerkt. Das war eine Anomalie, die heute, im Nachhinein, als Anzeichen dafür gewertet werden kann, dass etwas nicht stimmte.
Wäre es billiger und sicherer gewesen, die Brücke abzureißen und neu zu bauen und waren die Verkehrsprobleme während der Bauzeit das größte Hindernis?
Genau so war es. Daran gibt es keine Zweifel.
Gibt es Indizien für den Auslöser des Einsturzes, betraf das erst einen Pfeiler oder ein Stück von der Fahrbahn?
Die wahrscheinlichste These, aber nur eine These, ist der Bruch eines Tragseils.
Könnte ein Blitz einen Pfeiler zum Einsturz bringen, wenn er an einem Eisen im Beton entlangfährt und dieses erhitzt?
Absolut nicht.
Welches Alter kann eine solche Brücke dieser Länge erreichen, eventuell mit einem anderen Bauprinzip?
So eine Brücke kann weit über 100 Jahre alt werden, wenn sie gut konstruiert und gut gewartet wird.
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