Erdbeben in Türkei und Syrien : Als der Boden zu wanken begann
- -Aktualisiert am
Trümmer in Adana: Hilfskräfte suchen nach dem schweren Erdbeben nach Überlebenden. Bild: Getty
Nach dem Erdbeben im türkisch-syrischen Grenzgebiet steigt die Zahl der Toten an. Infolge des langen Kriegs in Syrien und der Fluchtbewegungen erweisen sich die Rettungsmaßnahmen als erheblich schwieriger als in der Türkei.
Schnell waren die Rettungskommandos in den vom Erdbeben betroffenen Gebieten eingetroffen, aus der gesamten Türkei und auch aus dem Ausland. Nur wenige Stunden nach dem verheerenden Erdbeben mit der Stärke 7,8 waren schon mehr als 1000 Rettungskommandos an Ort und Stelle im Einsatz, am Vormittags stieg ihre Zahl auf fast 3000. Das Beben ereignete sich um 4.17 Uhr, das Epizentrum lag nahe der Stadt Kahramanmaras im Südosten der Türkei. In den Minuten und Stunden danach folgten 80 Nachbeben. Für ein Nachbeben nur zehn Minuten später in Nurdagi bei Gaziantep wurde die Stärke 6,6 angegeben, für ein weiteres um die Mittagszeit sogar die Stärke 7,5. Die Erschütterungen waren in den Nachbarländern, in Zypern und selbst bis in die ägyptische Hauptstadt Kairo zu spüren.
Es war eines der drei großen Erdbeben der Türkei in den vergangenen 100 Jahren. 1939 waren in Erzincan bei einem Beben der Stärke 7,8 mehr als 30.000 Menschen ums Leben gekommen. Seit dem Beben vom 17. August 1999 mit einer Stärke von 7,6, bei dem östlich von Istanbul mehr als 17.000 Personen zu Tode kamen, hat die Türkei ihren Katastrophenschutz erheblich ausgebaut. Das dürfte nun viele Menschenleben retten.
Die 2009 aus mehreren Ämtern gegründete Katastrophenschutzbehörde Afad mobilisierte am frühen Montagmorgen umgehend Rettungskräfte, die türkische Luftwaffe richtete einen Luftkorridor ein und stellte für den Transport der Helfer und ihrer Geräte Flugzeuge bereit. Schon in den ersten Stunden seien mehreren Tausend Menschen lebend aus den Trümmern geborgen worden, sagte Präsident Recep Tayyip Erdogan.
Neben Afad seien Rettungseinheiten der Streitkräfte und der Polizei im Katastrophengebiet im Einsatz, sagte am Morgen Vizepräsident Fuat Oktay. Die Flugzeuge landeten auf den Flughäfen Kahramanmaras und Gaziantep, die für den zivilen Flugverkehr gesperrt wurden. Das Beben hatte in der Piste des Flughafens von Hatay einen langen Riss verursacht und den im Dezember 2007 in Betrieb genommenen Flughafen damit unbrauchbar gemacht. Heftiges Schneetreiben, glatte Straßen und eisige Temperaturen beeinträchtigten die Rettungsarbeiten.
Innenminister Süleyman Soylu sagte, von dem Erdbeben seien zehn der 81 Provinzen der Türkei betroffen. Er rief die vierte und höchste Stufe des Katastrophenschutzes aus, was automatisch mit der Bitte um internationale Hilfe verbunden ist. Zahlreiche Länder sagten Hilfe zu und demonstrierten große Solidarität mit der Türkei. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) schrieb auf Twitter, Deutschland werde „selbstverständlich Hilfe schicken“. Er verfolge „mit Bestürzung“ die Nachrichten. Außenministerin Anna-Lena Baerbock (Grüne) schrieb, „gemeinsam mit unseren Partnern stehen wir bereit, um Hilfe zu leisten“. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sagte, „wir werden alle Hilfen in Bewegung setzen, die wir aktivieren können“. Das Technische Hilfswerk (THW) könne Lager mit Notunterkünften und Einheiten für die Wasseraufbereitung bereitstellen. Ferner bereite das THW in enger Abstimmung mit dem türkischen Zivilschutz Hilfslieferungen mit Notstromaggregaten, Zelten und Decken vor. Im Auswärtigen Amt wurde ein Krisenstab für die Hilfe der Bundesregierung für die Erdbebenopfer eingerichtet.
Am Morgen teilte in Brüssel der EU-Kommissar für humanitäre Hilfe und Katastrophenschutz, Janez Lenarčič, mit, Teams aus den Niederlanden und Rumänien seien schon unterwegs. Das Emergency Response Coordination Centre der EU koordiniere den Einsatz der Rettungsteams aus bislang zehn Ländern Europas. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg schrieb, die NATO-Verbündeten mobilisierten jetzt Unterstützung. Hilfszusagen kamen in den ersten Stunden nach dem Beben aus vielen anderen Ländern, auch aus Griechenland, den Vereinigten Staaten, Ägypten sowie aus Russland und weiteren Ländern.
Auch Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu versprach Hilfe. Auf Bitten der Türkei habe er die Entsendung von medizinischem Personal sowie von Rettungskräften veranlasst, sagte er am Montag. Aufmerksamkeit erregte, dass Netanjahu hinzufügte, das Hilfsangebot gelte auch für Syrien – „nachdem ebenfalls eine Bitte eingegangen ist“.
Die israelische Zeitung „Haaretz“ berichtete am Nachmittag, die Bitte sei von Russland übermittelt worden. Israel habe angeboten, Hilfsgüter nach Syrien zu senden, und wäre auch bereit, syrische Verletzte zu behandeln, aber nur auf türkischem Boden oder in israelischen Krankenhäusern. Dafür könnten Grenzübergänge auf den Golanhöhen geöffnet werden, die Israel seit 1967 besetzt hält. Syrien und Israel befinden sich formal seit 1948 im Kriegszustand. Während des Bürgerkriegs in Syrien hat Israel mehrmals Rebellen im Grenzgebiet medizinische Hilfe geleistet und 2018 zivilen Rettungskräften die Flucht aus dem Land ermöglicht, als sie von Regimekräften bedroht wurden.