Türkei, Adana: Rettungskräfte suchen nach Überlebenden in den Trümmern von Gebäuden. Bild: dpa
Menschen und Helfer im Erdbebengebiet müssen draußen schlafen, weil die Gefahr von Nachbeben besteht. Doch wie kommt es zu solchen Nachbeben? Und wie stark sind sie?
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In dem am Montag von dem katastrophalen Erdbeben heimgesuchten türkisch-syrischen Grenzgebiet in der Nähe der Großstadt Gaziantep kommt die Erde nicht zur Ruhe. Allein in den ersten 24 Stunden nach dem Hauptbeben mit einer Magnitude von 7,8 ereigneten sich mindestens 24 Nachbeben mit Magnituden von mehr als fünf. Das erste dieser Nachbeben fand bereits elf Minuten nach den ursprünglichen Erdstößen statt und hatte eine Magnitude von 6,7. Neun Stunden später gab es etwa 100 Kilometer weiter nördlich das bisher schwerste Nachbeben mit einer Magnitude von 7,5. Alle diese Nachbeben sind stark genug, bereits beschädigte Häuser völlig zum Einsturz zu bringen und die Arbeit der Rettungsmannschaften schwer zu behindern und zu gefährden.
Nachbeben sind eine normale und natürliche Konsequenz von Erdbeben. Für ihr Entstehen gibt es mehrere Ursachen, zwei davon sind besonders wichtig: Ein Erdbeben ist ein Bruch in einem Gestein entlang einer Schwächezone, der sogenannten Verwerfung. Weil aber kein Fels in der Erdkruste homogen und gleichförmig ist, vollzieht sich solch ein Bruch nicht kontinuierlich und gleichmäßig. Vielmehr bricht das Gestein ruckartig, weil der Bruch von widerstandsfähigen Zonen im Gestein oder von Schichtgrenzen im Fels verlangsamt wird, nur um sich dann wenig später mit großer Geschwindigkeit weiter auszubreiten.
Nachbeben sorgen dafür, dass sich auch bei rauer Oberfläche Spannungen abbauen
Ein solcher Bruchablauf hinterlässt keine gleichmäßig glatte Bruchfläche, sondern vielmehr eine sehr raue Oberfläche, die nicht überall völlig zerbrochen ist. Nachbeben sorgen später dafür, dass sich auch an diesen Stellen die mechanischen Spannungen im Gestein ausgleichen. Jeder Ausgleich dieser Art ist ein Erdbeben. Je größer die ursprüngliche Rauheit, umso größer dieses Nachbeben.
Der zweite Grund für Nachbeben hängt mit der vom Hauptbeben großräumig abgebauten tektonischen Spannung zusammen. Die Ursache für das schwere Hauptbeben am Montag war die langsame, aber stetige südwestliche Bewegung der Anatolischen Platte gegenüber der Arabischen Platte. Diese Bewegung zerrt am Gestein in der Schwächezone, der Ostanatolischen Verwerfung. Übersteigen diese Zerrkräfte die Festigkeit des Gesteins, bricht es; es kommt zum Erdbeben. Als Konsequenz werden die Zerrkräfte entlang der Fläche des Erdbebens abgebaut. Im Falle des Bebens von Montag war diese Herdfläche etwa 100 Kilometer lang und reichte an manchen Stellen bis in fast 50 Kilometer Tiefe.
Auch Ränder stehen unter Spannung
Der Abbau der Spannungen entlang der Herdfläche führt aber dazu, dass deren Ränder nach einem Erdbeben unter mehr Spannungen stehen als zuvor. Auf der einen Seite des Randes hat das Beben nämlich Spannungen abgebaut, auf der anderen, nicht gebrochenen Seite sind sie dagegen so hoch wie zuvor. Es entsteht eine große Spannungsdifferenz, die weitere Erdbeben auslösen kann. Auch diese Bewegungen in der Erdkruste werden Nachbeben genannt.
So hatte das schwerste Nachbeben neun Stunden nach dem Hauptbeben eine solche Ursache. Es ereignete sich am etwa 100 Kilometer vom Hypozentrum entfernten nordöstlichen Rand der ursprünglichen Herdfläche. Der dort entstandene Spannungskontrast sorgte dafür, dass eine Nebenverwerfung brach und sich auch dort die über Jahrzehnte angesammelte Spannung abbaute.
Wie viele starke Nachbeben es gibt, hängt von der Stärke des Hauptbebens ab. Nach ganz schweren Erdbeben, wie beispielsweise dem Beben mit einer Magnitude von 9,2 vor der indonesischen Insel Sumatra zu Weihnachten 2004, kann die Erde noch nach Jahren beben. Allerdings ist es Geophysikern bisher nicht gelungen, die genaue Zahl von Nachbeben vorherzusagen. Auch tun sie sich damit schwer, die Verteilung und die jeweilige Stärke von Nachbeben zu prognostizieren.
Forscher im Erdbebenzentrum des Geologischen Dienstes der Vereinigten Staaten in Golden (Bundesstaat Colorado) veröffentlichen seit Kurzem nach jedem schweren Beben in Nordamerika eine experimentelle Vorhersage für Nachbeben, die täglich erneuert wird. Allerdings gibt es solche Versuchsvorhersagen für Regionen außerhalb Nordamerikas bisher noch nicht. Sicher ist aber, dass im Südosten der Türkei in den kommenden Wochen mit weiteren Nachbeben zu rechnen ist, wobei deren Anzahl und Stärke im Laufe der Zeit immer weiter abnehmen.