Regenmangel in Norditalien : Eine Insel im Gardasee erreicht man jetzt zu Fuß
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Spaziergang durch den See: Die Isola di San Biagio im Gardasee ist wegen des niedrigen Wasserstands jetzt auch ohne Boot erreichbar. Bild: AFP
Italien droht wieder ein Jahr mit Rekorddürre. Am Gardasee ist der Wassermangel schon jetzt extrem, in der Po-Ebene klagen die Bauern über den viel zu trockenen Boden.
Manerba am Westufer des Gardasees hat eine neue Touristenattraktion, und das mitten im Winter. An den meisten Restaurants, Hotels und Campingplätzen hängen noch die vergilbten Zettel vom Herbst aus, mit der Aufschrift: „Auf Wiedersehen bis zur Saison 2023“. Und die beginnt erst im April, frühestens im März. Doch zumal an Wochenenden wird die Winterruhe an der Punta Belvedere, wo sich von der Spitze der Halbinsel aus ein pittoresker Blick auf den See öffnet, derzeit schon so sehr gestört, dass der Bürgermeister von Manerba laut über Beschränkungsmaßnahmen nachdenkt.
Grund für den saisonunüblichen Andrang ist der extrem niedrige Wasserstand des Gardasees. Deshalb kann man die rund 200 Meter vorgelagerte Isola di San Biagio jetzt zu Fuß statt wie üblich nur mit dem Boot erreichen. In etwas reißerischen Medienberichten heißt es, man könne zu dem Eiland „über das Wasser laufen“. In Wahrheit erreicht man das Inselchen über eine schmale Sand- und Kiesbank, an welche sanft das Wasser schlägt, jedenfalls aber trockenen Fußes.
Da das Ufergewässer bei Manerba, dazu die Isola di San Biagio sowie weitere vorgelagerte Inseln seit 2016 als Natur- und Wasserschutzgebiet ausgewiesen sind, kann man die Sorge im Rathaus wegen des Besucheransturms verstehen. Tatsächlich sind die wenigen Mülleimer an der Punta Belvedere längst übergelaufen, drum herum haben sich kleine Abfallhaufen gebildet.
„Besorgniserregende“ Situation
Der Gardasee ist das größte Süßwasserreservoir Italiens und verfügt dieser Tage über nur noch 35 Prozent seiner Speicherkapazität. Ein so stark reduziertes Wasservolumen sei noch nie registriert worden, sagt Pierlucio Ceresa, Generalsekretär des Verbands der Gemeinden am Gardasee. Die Situation sei „besorgniserregend“, klagt Ceresa. Schon Anfang Februar – so früh im Jahr wie noch nie zuvor – habe man die Abflussmenge in den Fluss Mincio am Südufer des Sees drastisch reduzieren müssen. Der Gemeindeverband hat bereits Maßnahmen zum Wassersparen veranlasst, auch dies so früh im Jahr wie noch niemals zuvor. Man braucht das Wasser des Sees im Frühjahr und im Sommer, für den Fremdenverkehr, für die Fischerei, für die Bewässerung der landwirtschaftlichen Nutzflächen entlang des Mincio rund um Mantua.
Die Lage am Po, in den der Mincio bei Governolo mündet, ist nicht besser. Die Ufer des längsten Flusses Italiens sind von breiten Sand- und Kiesbänken gesäumt. Die Pegelstände an den Messstationen entlang des Pos liegen mehrere Meter unter dem für diese Jahreszeit üblichen Niveau. „Die Situation ist schlimmer als letztes Jahr“, klagt Ettore Prandini, Präsident des Bauernverbands Coldiretti. Im Jahr 2022, dem Jahr der schlimmsten Dürre seit sieben Jahrzehnten, verzeichneten Italiens Bauern Einnahmeausfälle in Höhe von sechs Milliarden Euro. Dieser Tage stehe die Aussaat an, für die es feuchten Grund brauche, stattdessen sei die Erde schon wieder staubtrocken, sagt Prandini.
Gut vier Dutzend Regentage nötig
42 Prozent der Landwirtschaftsproduktion Italiens sind selbst bei normalen Niederschlagsmengen auf zusätzliche Bewässerung angewiesen. In der EU haben nur Griechenland und Malta einen noch höheren Anteil an landwirtschaftlichen Nutzflächen, die bewässert werden müssen. Für das Wochenende sagen die Meteorologen nun zwar Niederschläge voraus. Doch für eine nachhaltige Verbesserung der Lage brauchte es in den kommenden Wochen mindestens 500 Millimeter Niederschlag, sagt der Klimaforscher Massimiliano Pasqui vom Nationalen Forschungsrat (CNR). Und zwar als anhaltenden Landregen, verteilt über mehrere Tage, der vom Boden aufgenommen werden könne, keinen Platz- oder Starkregen. Gut vier Dutzend Tage mit Landregen brauche man, was aber wenig wahrscheinlich sei, sagt Pasqui.
Auch Dieter Peterlin, Meteorologe beim Landeswetterdienst in Südtirol, wünscht sich viele Tage mit anhaltendem Niederschlag. Fast überall in Südtirol sei „bislang nur halb so viel Niederschlag gefallen wie im Durchschnitt“, sagt Peterlin. Die Gletscherkommission der Trentiner Alpinistengesellschaft hat ermittelt, dass im aktuellen Winter in den Alpen 56 Prozent weniger Schnee gefallen ist im Vergleich zum Durchschnitt der Jahre 2011 bis 2021. Der extreme Niederschlagsmangel ziehe sich nun schon ins zweite Jahr hin, klagt der Meteorologe Peterlin: „Bereits der vergangene Winter war zu trocken, danach auch das gesamte vergangene Jahr. Und genau das ist das Problem: diese lange Periode mit viel zu wenig Niederschlag.“