Klimaforschung : „In der Ostantarktis droht eine Mega-Eisschmelze“
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Gefährdete Barriere: die Kante des Filchner-Ronne-Schelfeises im Weddellmeer in der Ostantarktis Bild: Ralph Timmermann, AWI
Neue Klimamodelle zeigen, welche Gefahr vom antarktischen Weddelmeer ausgeht: Warmes Meerwasser könnte das Schelfeis von unten schmelzen lassen. Dadurch würden auch große Inlandeismassen in den Ozean abrutschen.
Bislang galt die weitverbreitete Annahme, dass das Schelfeis des antarktischen Weddellmeers aufgrund seiner Randlage von den unmittelbaren Einflüssen der Erderwärmung verschont bliebe. Klimamodelle des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung (AWI) zeigen nun aber, dass das Filchner-Ronne-Schelfeis im Weddellmeer noch in diesem Jahrhundert rapide zu schmelzen beginnen wird. Damit fiele auch die Barriere für nachrutschendes Inlandeis weg, wie die Klimaforscher des Instituts in der aktuellen Ausgabe des britischen Wissenschaftsmagazins „Nature“ schreiben.

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Die Folgen könnten verheerend sein: Statt wie bislang etwa 1,5 Millimeter würde der Meeresspiegel um bis zu 4,5 Millimeter im Jahr steigen, also fast einen halben Meter in 100 Jahren. Tiefliegende Küstenregionen wie in Bangladesch oder flache Inselgruppen wie die Malediven würden vermutlich viel früher im Meer versinken als bislang befürchtet, auch weil den Staaten das Geld fehlt, um sich gegen Hochwasser und Sturmfluten zum Beispiel mit Deichen zu schützen.
Eine Kettenreaktion innerhalb der nächsten sechs Jahrzehnte
„Das Weddellmeer“, sagt Hartmut Hellmer, Ozeanograph am Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven und Erstautor der Studie, „hatte niemand so richtig auf der Rechnung, weil alle glaubten, seine Wassermassen seien im Gegensatz zum Amundsenmeer (in der Westantarktis) kalt genug, um dem Schelfeis nichts anhaben zu können.“ Sein Institut aber zeige nun, dass auch die Ostantarktis und das knapp drei Millionen Quadratkilometer große Weddellmeer von den warmen Wassermassen angegriffen werden könne. Dabei werde die Basis des Schelfeises, das auf dem Meer schwimme, von unten abgeschmolzen. Am Ende des Prozesses könnten große Inlandeismassen in den Ozean abrutschen.
Hellmer spricht von einer Kettenreaktion innerhalb der nächsten sechs Jahrzehnte, die von steigenden Lufttemperaturen über dem südöstlichen Weddellmeer ausgelöst werde. Die wärmere Luft führe dazu, dass das heute noch solide Meereis in wenigen Jahrzehnten dünner und damit brüchiger und mobiler werde. Wenn dies geschieht, verändern sich auch grundlegende Transportprozesse. Bislang verhindert eine hydrographische Front im Weddellmeer, dass warmes Wasser unter das Schelfeis gelangt. Diese schützende Barriere könnte sich bis zum Ende dieses Jahrhunderts aber auflösen, so Hellmer.
Der Einstrom wärmeren Wassers ließe das Eis von unten schmelzen. Die größten Schmelzraten erwarten die Forscher nahe der sogenannten Aufsetzlinie, jener Zone, in der das Schelfeis auf dem Meeresboden aufsetzt und in den Gletscher übergeht. An dieser Stelle schmilzt das Filchner-Ronne-Schelfeis heute um etwa fünf Meter pro Jahr. Zur nächsten Jahrhundertwende werden die Schmelzraten allerdings nach Berechnungen des Instituts auf bis zu 50 Meter im Jahr ansteigen. Die Folge wäre eine Mega-Schmelze, der letztlich auch das ungeschützte Inlandeis zum Opfer fiele.