Gestrandete Wale : Die rettenden Klicks
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Alle Achtung: Naturschützer sorgen sich um die Schweinswale in der Ostsee. Bild: Picture-Alliance
Immer wieder fallen Schweinswale den Stellnetzen von Ostseefischern zum Opfer. Die unachtsamen Tiere ertrinken in den engmaschigen Stoffen. Ein neues Warngerät soll Schweinswale retten.
Zu spät. Einen kurzen Moment nur war der Schweinswal unaufmerksam. Vielleicht jagte er gerade einem Fisch nach oder hatte eine Auseinandersetzung mit einem anderen Schweinswal. Jedenfalls hat er das Stellnetz eines Ostseefischers übersehen und ist nun in dessen Maschen verheddert. Kann er sich nicht mehr befreien, ertrinkt der Schweinswal, der zum Atmen an die Oberfläche kommen muss. Und auch wenn es ihm gelingen sollte, sich aus dem Netz zu befreien, sind die Chancen groß, dass er sich dabei schwer verletzt. Allein im Gebiet rund um die Kieler Bucht werden jedes Jahr rund 150 Kadaver von Schweinswalen angeschwemmt, gut die Hälfte von ihnen sind Opfer eines Stellnetzes. „Diese schrecklichen Zahlen könnten bald kräftig sinken“, ist sich Boris Culik sicher. In seiner Firma F3 in der Nähe von Kiel hat der Meeresbiologe gemeinsam mit der Firma TB Conrad und dem Thünen-Institut für Ostseefischerei in Rostock ein Warngerät entwickelt, das Schweinswale zur Vorsicht anhält.
Der Apparat, nach dem englischen Begriff „Porpoise Alert“, Schweinswal-Alarm, kurz PAL genannt, könnte gerade noch rechtzeitig kommen. Denn die Mitarbeiter des Bundesamts für Naturschutz, des Deutschen Meeresmuseums in Stralsund und verschiedener Naturschutzorganisationen sorgen sich seit Jahren um die Schweinswale in der Ostsee. Die Tiere sind in zwei Gruppen aufgeteilt: Der westlichen geht es mit rund 1900 Tieren in der Mecklenburger Bucht, weiteren 1300 Artgenossen in der Kieler Bucht sowie mehr als 10.000 Schweinswalen in den nördlich davon liegenden dänischen und schwedischen Gewässern noch recht gut. Die zweite Gruppe der Schweinswale in der Ostsee, östlich der Insel Rügen, umfasst dagegen gerade noch etwa 500 Tiere. Das reicht für einen Platz auf der Roten Liste der vom Aussterben bedrohten Tiere. Und die Stellnetzfischerei liegt in der Rangliste der Ursachen dieser Misere ganz vorne.
Stellnetzfischerei besonders naturfreundlich
Den Fischern ist das gar nicht recht. Schließlich gilt gerade die Stellnetzfischerei als besonders naturfreundlich, weil die bis zu zehn Kilometer langen Netze gezielt Dorsche, Heringe, Meerforellen und Schollen fangen und nur wenige Tiere anderer Arten erwischen. Bis auf die Schweinswale. Diese Meeressäugetiere orientieren sich mit Hilfe von Klicklauten mit extrem hohen Frequenzen um 130 Kilohertz, die ein Mensch mit einem Hörvermögen bis etwa 20 Kilohertz bei weitem nicht mehr wahrnehmen kann. Eine mögliche Beute oder Hindernisse im Wasser werfen diese Laute zurück, und die Schweinswale „sehen“ mit Hilfe dieser Echos ihre Umgebung. Die dünnen Nylonfäden moderner Netze aber geben offenbar nur schwache Echos zurück, und die meist kaum 180 Zentimeter langen und 70 Kilogramm schweren Wale nehmen die Netze daher nur schlecht wahr. Übersieht ein Schweinswal die schwachen Echos, droht der Tod im Netz.
Lösen könnte man das Problem mit einer Warnung für die Tiere. So wurden „Pinger“ entwickelt, die am Netz befestigt werden und für Schweinswale unangenehme oder erschreckende Töne produzieren. Womöglich fürchten Schweinswale, hinter den Tönen könnte ein gefährlicher Feind wie etwa ein Schwertwal stecken, jedenfalls schalten sie vor solchen „Pingern“ ihre Echoortung aus, um sich mit ihren Klicklauten nicht zu verraten. Zudem halten sie einen Sicherheitsabstand von meist mehr als hundert Metern zu der verdächtigen Stelle. Damit aber gehen sie ein neues Risiko ein, weil sie jetzt im Blindflug unterwegs sind und Netze ohne oder mit defekten „Pingern“ gar nicht mehr sehen können.
Hilfe vom Staat ist gefragt
Die PAL-Geräte von Boris Culik produzieren daher Klicklaute mit einer Frequenz von 133 Kilohertz wie sie zum Beispiel Schweinswale im dänischen Forschungszentrum Kerteminde bei Rangeleien mit Artgenossen von sich geben. In gerade einmal 1,2 Sekunden kommt eine Salve von tausend solcher Klicks. „Das wirkt auf Schweinswale so ähnlich wie bei uns Menschen der Ruf ,Achtung!‘“, erklärt Culik. Genau wie Menschen dann besonders aufmerksam sind, fahren auch die Schweinswale ihre Echoortung hoch, wenn sie die Warnung hören. Und sehen dadurch die für sie gefährlichen Netze besser.
Seit 2014 testen deutsche und dänische Fischer das System in der Praxis. Sie melden einen durchschlagenden Erfolg: In 885 Versuchen hatten sie jeweils ein Netz mit solchen PAL-Geräten und ein zweites ohne Warnsignale ausgebracht. Insgesamt 18 Schweinswale verhedderten sich in den stillen Netzen, in den mit PAL-Geräten ausgerüsteten waren es dagegen nur drei. „Damit wurde der Beifang um 83Prozent reduziert“, fasst Culik das Ergebnis zusammen.
100 bis 200 Euro dürfte ein solches Gerät kosten, wenn die Entwickler in wenigen Monaten alle nötigen Genehmigungen beisammen haben. Da jeder Fischer 40 oder 50 dieser Apparate mit auswechselbarer Lithium-Ionen-Batterie benötigte, was in der aktuell eher mauen Wirtschaftslage der Branche eine gewaltige Investition wäre, könnte eventuell der Staat einen größeren Teil der Kosten übernehmen, überlegt Culik. Das Umweltministerium von Schleswig-Holstein hat schon bei ihm angefragt.