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Immer mehr Wölfe: Schießen oder nicht?

THOMAS OBERFRANZ
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14.08.2017 · Immer öfter werden in Deutschland Wölfe gesichtet. Zum 24. Mal ist in diesem Sommer eines der Tiere illegal erschossen worden. Tierschützer sind entsetzt. Landwirte fordern dagegen, nicht nur Problemtiere zum Abschuss freizugeben.

A nfang Juli ist ein toter Wolf aus dem Schluchsee in Baden-Württemberg gezogen worden. Das baden-württembergische Umweltministerium teilte am Dienstag mit, das Tier sei erschossen worden. „Einen Wolf zu erschießen ist eine Straftat“, sagte Umweltminister Franz Untersteller (Grüne). „Ich bedauere es sehr, dass ein Mensch das Leben dieses seltenen Geschöpfes mit Gewalt ausgelöscht hat.“ Nach Angaben des Naturschutzbundes Deutschland (Nabu) handelt es sich um den 24. illegalen Abschuss eines Wolfes in Deutschland seit 2000. Seitdem ist der Wolf in Deutschland wieder heimisch.

Das getötete Tier ist nicht der einzige Wolf, der in diesem Sommer für Aufsehen sorgt: Am vergangenen Freitag hat das Bayerische Landesamt für Umwelt den ersten Wolfsnachwuchs im Bayerischen Wald seit rund 150 Jahren gemeldet. In Niedersachsen wurde am Mittwochmorgen ein Jungtier aus einer Rinderherde gefunden, das offenbar von Wölfen getötet wurde. Und im Reinhardswald im Landkreis Kassel sichteten Förster und Jäger „ein frei laufendes wolfsähnliches Tier“. Eine Gefahr für Spaziergänger bestehe nicht, erklärte ein Sprecher des hessischen Umweltministeriums am Dienstag. Hunde sollten aber vorerst angeleint bleiben.

In Nordrhein-Westfalen sprach sich ein von Landwirten und Jägern beauftragter Gutachter Anfang dieser Woche für einen begrenzten Abschuss von Wölfen aus. Der Biologe Hans-Dieter Pfannenstiel sehe „weder stichhaltige juristische noch wildbiologische oder populationsdynamische Gründe, weswegen der Wolf nicht auch in Deutschland planmäßig bejagt werden könne“, teilte der Westfälisch-Lippische Landwirtschaftsverband (WLV) mit. „Es muss deutlich mehr passieren als nur eine ,Willkommenskultur' für den Wolf auszurufen“, erklärte WLV-Präsident Johannes Röring. In Ostdeutschland und Niedersachsen reiße der Wolf schon immer stärker Schafe und Rinder.

Auch das „Landvolk Niedersachsen“, einer der 18 Mitgliedsverbände des Deutschen Bauernverbands, fordert ein „aktives Wolfsmanagement“. Dies bedeute, Wölfe zu vergrämen oder dem Bestand zu entnehmen. Ersteres meint, Wölfe, die Nutztiere reißen, zu vertreiben. Letzteres ist der euphemistische Begriff dafür, den Wolf zu schießen. Der Verband verweist darauf, dass dies in anderen europäischen Ländern gemacht werde. Zudem sei der Wolf keine vom Aussterben bedrohte Wildart.

Wolfswelpen sind in der Ueckermünder Heide in Mecklenburg-Vorpommern in eine Fotofalle getappt. Foto: dpa
Wolfswelpen sind naiv-neugierig und laufen nicht immer direkt vor dem Menschen weg. Foto: dpa
Der Wolf steht in Deutschland unter Artenschutz und darf nicht gejagt werden. Dennoch werden immer wieder die Kadaver erschossener Wölfe gefunden. dpa

Trotzdem steht der Vierbeiner in Deutschland unter Artenschutz. Eigentlich wurde er vor über 150 Jahren ausgerottet. Erst 1998 wurde das Wildtier wieder gesichtet, 2000 zeugten Wölfe in der Lausitz erstmals wieder Nachkommen. Die Tiere sind von Polen nach Deutschland eingewandert, einige kamen auch aus den Alpen. Wer das unter Artenschutz stehende Tier in Deutschland tötet, muss je nach Bundesland mit einem Bußgeld von bis zu 65.000 Euro rechnen. Auch die Jagdlizenz kann entzogen werden. In manchen Fällen drohen sogar Haftstrafen.

Nach Angaben des Bundesamts für Naturschutz lebten im Monitoringjahr 2015/2016 in Deutschland insgesamt 46 Wolfsrudel, 15 Wolfspaare und vier sesshafte Einzelwölfe. Wölfe sind mittlerweile in allen Flächenbundesländern, außer dem Saarland, heimisch.

Die grünen Felder zeigen gesicherte Wolfsvorkommen in Deutschland. Außer im Saarland wurden im Beobachtungszeitraum in jedem Flächenland der Republik Wölfe gesichtet. Quelle: Geobasidaten © GeoBasis-DE/ BKG 2011 zusammengestellt vom Bundesamt für Naturschutz

Die meisten Tiere leben im Norden und Osten der Republik. Ein Monitoringjahr läuft jeweils vom 1. Mai bis zum 30. April des darauffolgenden Jahres, da sich dieser Zeitabschnitt mit dem biologischen „Wolfsjahr“ deckt – von der Geburt der Welpen bis zum Ende des ersten Lebensjahres. Zahlen für das abgelaufene Monitoringjahr 2016/17 werden im September veröffentlicht. Für gewöhnlich ernährt sich der Wolf von andern Wildtieren, wie beispielsweise Rehen und Wildschweinen. In urbanen Regionen reißt der Wolf auch Schafe oder junge Rinder. Dies sorgt für Ängste und finanzielle Schäden bei den Weidebauern.

Schafe, Rinder, Gatterwild und andere Nutztiere können auf ihrer Weide durch Elektrozäune oder Herdenhunde vor Wolfsangriffen geschützt werden. Das Land Niedersachsen fördert diese Präventionsmaßnahmen mit einer Übernahme von bis zu 80 Prozent der Kosten. In anderen Bundesländern gibt es ähnlich hohe Zuschüsse. Nicht nur Herdenhunde können Wolfsangriffe vereiteln, auch Esel können dies. Die Tiere sind sind laut, treten und beißen ihre Angreifer. Auf einigen Weiden in Deutschland und vor allem im Ausland wurden die ungewöhnlichen Beschützer bereits erfolgreich getestet.

Ein Lama auf der Weide? Das Tier hat sich nicht verirrt, es bewacht im Schweizer Kanton Waadt eine Herde Schafe. Foto: dpa
Hausesel Klaus bewacht in Freiburg/Elbe in Niedersachsen eine Schafsherde. Die Tiere laufen nicht weg, sondern stellen sich ihren Gegnern. Die störrischen Vierbeiner sind laut, treten und beißen die Angreifer. Foto: dpa
Als Schaf getarnt: Herdenschutzhund Artos schützt seine Schäfchen in Badeborn in Sachsen-Anhalt vor seinen wilden Verwandten aus dem Wald. Foto: dpa

Sollte dennoch ein Tier vom Wolf gerissen werden, so stehen die Landwirte nicht gänzlich im Regen. „Das Land gewährt Billigkeitsleistungen (…) als freiwillige Zahlungen, wenn der Wolf als Verursacher des Schadens eindeutig oder mit hoher Wahrscheinlichkeit amtlich festgestellt wurde“, so das Umweltministerium Niedersachsen. Dabei wird der gegenwärtige Wert des Tieres gezahlt. Der niedersächsische Bauernverband kritisiert die Maßnahmen als nicht ausreichend und zu bürokratisch.

Die Bedrohung für Weidetiere ist das eine, die Bedrohung für den Menschen etwas ganz anderes. Viele Menschen haben Angst vor Wölfen, trauen sich nicht mehr auf Wiesen und Wälder. Der Wolf ist aber eigentlich ein scheues Tier, er läuft weg, lange bevor der Mensch ihn gesehen hat. Sollte ein Wolf nicht weglaufen, was bei neugierigen Welpen am ehesten der Fall sein könne, so rät das Bundesumweltministerium dazu, stehen zu bleiben, laut zu rufen oder zu klatschen. Außerdem sollte das Tier auf keinen Fall verfolgt oder in die Enge getrieben werden. Auch sei es wichtig, dass der Betroffene nicht wegrennt, denn das könnte den Jagdtrieb des Tieres auslösen.

Das niedersächsische Umweltministerium weist darauf hin, dass es in Deutschland seit der Wiederkehr der Wölfe keinen Fall gab, „in dem nachweislich ein Mensch von einem Wolf angegriffen wurde“. Allerdings handle es sich beim Wolf um ein wildes Tier, „dessen Verhalten nie mit hundertprozentiger Sicherheit vorhergesagt werden kann“. Vor einer übermäßigen Konzentration an Wölfen müssten sich die Leute aber nicht fürchten: Der Wolf verteidigt sein Revier, das etwa 200 bis 300 Quadratkilometer groß ist, gegen Artgenossen. Neue Wölfe suchen sich also eigene Territorien.
Die größte Gefahr ist laut Experten, dass der Wolf seine natürliche Scheu vor dem Menschen verlieren könne, wenn er gefüttert und damit angelockt wird. Das kann für das Tier das Todesurteil sein: Problemwölfe, die für den Menschen gefährlich werden, können schon jetzt zum Abschuss freigegeben werden. Dies sei zum Beispiel im Fall des Wolfs MT6 in Niedersachsen geschehen, so das niedersächsische Umweltministerium. Das Tier hatte ein auffälliges Verhalten gezeigt, sich wiederholt Menschen genähert. Versuche den Wolf zu vergrämen oder einzufangen waren erfolglos geblieben. Im April 2016 wurde er geschossen.

Quelle: FAZ.NET

Veröffentlicht: 02.09.2017 13:44 Uhr