Zuchtprogramme in Zoos : „Man muss überzählige Tiere töten“
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Der Kopenhagener Zoo tötete am Montag vier Löwen. Bild: dpa
Eine getötete Giraffe im Kopenhagener Zoo löste weltweite Empörung aus. Nun sind dort vier Löwen eingeschläfert worden. Tierparks indes verteidigen die Praxis: Für sie ist das gezielte Töten ein Mittel zur Bestandserhaltung.
Nach der Tötung der Giraffe Marius schlug dem Kopenhagener Zoo Anfang Februar Empörung aus allen Netzwerken entgegen. Nun wurden am Montag vier Löwen eingeschläfert. Und wieder ist das Entsetzen groß.
In beiden Fällen erklärt der Zoo sein Vorgehen mit seinem Zuchtprogramm. Das Ziel dabei ist klar: „Die Zoos haben den Auftrag, stark bedrohte Arten zu erhalten“, sagt Thomas Willms, Kurator des Frankfurter Zoos. Für die nächsten 200 Jahre sollen 90 Prozent der genetischen Vielfalt einer Tierart erhalten werden. „Unsere Wunschvorstellung wäre: für alle Ewigkeit und 100 Prozent, aber das ist nicht realistisch“, sagt Helmut Mägdefrau, Zoologe und stellvertretender Direktor des Nürnberger Tiergartens. Deswegen ist er der Meinung, es sei nicht zu vermeiden gewesen, die Tiere zu töten. „Für die Kollegen in Kopenhagen war es sicherlich keine leichte Entscheidung.“
Die Zoos stehen nach seinen Worten vor einem Dilemma: „Einerseits haben wir unsere Moralvorstellungen, andererseits kennt die Natur keine Moral.“ Denn Zoos haben das gleiche Problem wie die Menschen auf der Erde: Der Platz ist begrenzt. In den achtziger und neunziger Jahren wurden in Frankreich und Spanien noch neue Zoos gebaut. Inzwischen entstehen so gut wie keine mehr.
Zoos und Nationalparks sind übervölkert
Wenn Tiere überzählig sind, wird routinemäßig nach Plätzen in anderen Tierparks gefragt. Vor allem die rund 400 Zoos in Europa sind eng vernetzt. Erfolgreich sind diese Versuche aber selten, denn Leerstand gibt es kaum.
Auch Auswildern sei keine Lösung, sagt Mägdefrau. Zum einen seien auch viele Nationalparks übervölkert – allein in Afrika müssten in naher Zukunft 30.000 Elefanten geschossen werden. Zum anderen müsste der Schutz der Tiere in der Freiheit gewährleistet sein. Doch die Zerstörung des Lebensraums und die Wilderei verhinderten das. Der Tiergarten Nürnberg gibt Tiere deswegen auch an Privatleute ab – aber natürlich nur, wenn die Unterbringung artgerecht ist, was bei Löwen und Giraffen nicht so einfach ist.
Tiere haben eine biologische Fortpflanzungsrate. Doch sehr viele Jungtiere in freier Natur sterben früh. Bei Menschen liegt die Rate bei etwa zehn Kindern, von denen unter natürlichen Bedingungen acht sterben – wie es das bei Eingeborenen im Amazonasgebiet noch immer gibt. Zootiere dagegen leben unter ähnlichen Bedingungen wie die meisten Deutschen: Sie haben Reviergarantie, Futtersicherheit und medizinische Versorgung. Die Bestände wachsen, der Platz für die Tiere reicht nicht aus.
Geburtenkontrolle oder künstliche Sterberate
Gegensteuern kann man nur auf zwei Wegen: durch Geburtenkontrolle oder eine künstlich eingeführte Sterberate. „Eine dritte Möglichkeit gibt es nicht“, sagt Mägdefrau. „Wir müssen bereits sein, überzählige Tiere zu töten.“
Das sei die tierfreundlichere Lösung. „Das Trennen der Geschlechter kann sehr belastend sein, vor allem für Tiere, die in sozialen Verbänden leben“, sagt der Frankfurter Zoo-Kurator Willms. Außerdem nähmen Empfängnisverhütung oder die getrennte Haltung von Männchen und Weibchen den Tieren die Möglichkeit zur Jungtieraufzucht und damit ihr Familienleben. „Als Mensch können sie sich entscheiden, ob sie Kinder wollen oder Karriere machen oder Squash spielen“, sagt Mägdefrau. „Wildtiere können das nicht.“
Verhütung birgt noch ein weiteres Problem: Vor allem bei Bären und Großkatzen kann sie dazu führen, dass die Tiere zeitweilig oder dauerhaft unfruchtbar werden. Die weitere Zucht und damit die Erhaltung der Tierart werden so gefährdet.
Also betreiben Zoos – so wie jetzt in Kopenhagen – eine künstliche Auslese. Die getöteten Tiere werden an Raubtiere verfüttert – etwa 15 bis 20 Prozent des verfütterten Fleischs kommen aus eigenem Bestand. So kann man sicherstellen, dass die Tiere aus artgerechter Haltung stammen und keine Transporte hinter sich haben.
Eine Tötung der Tiere zur Bestandserhaltung der Art lässt das deutsche Tierschutzgesetz nicht zu. „Leider“, sagt Thomas Willms. Die Tiere dürfen also nur dann getötet werden, wenn sie anschließend auch verfüttert werden.
Dass die Kopenhagener Giraffe vor Publikum und sogar vor Kindern zerlegt wurde, ist aus Sicht von Helmut Mägdefrau nicht schlimm. „Zoos haben inzwischen einen Bildungsauftrag, den sie früher nicht hatten.“ Kinder seien da unvoreingenommen. „Es ist eine reine Vernunftentscheidung. Alles andere ist Gefühlsduselei.“
Die Empörung über den Kopenhagener Zoo ist indes unverändert groß: Mehr als 45.000 Menschen unterschrieben bis zum Mittwochnachmittag eine Online-Petition mit dem Titel „Sagt dem Kopenhagener Zoo, dass er aufhören soll, gesunde Tiere zu töten!!“