Tiere : Der Wal-Kieler
- -Aktualisiert am
„Kielian” in der Kieler Förde Bild: dpa/dpaweb
Niemand weiß genau, warum der Finnwal "Kielian" mindestens einmal falsch nach Süden abgebogen ist.
Am frühen Nachmittag des 6. Juli war Andreas Pfander gerade auf dem Weg zur Kaffeestunde bei seiner Schwiegermutter, als das Telefon klingelte. An störende Anrufe auch an Sonntagen haben sich Pfander und seine Frau längst gewöhnt. Der Kappelner Chirurg ist so etwas wie die schleswig-holsteinische Notrufzentrale in Sachen Schweinswale - wenn irgendwo entlang der etwa 150 Kilometer langen Ostseeküste zwischen Flensburg und Eckernförde einer der bis zu 1,50 Meter langen Meeressäuger an den Strand gespült wird oder ein Fischer eines der Tiere in seinem Stellnetz entdeckt, wird Pfander alarmiert. Bergen, vermessen, untersuchen und statistisch auswerten sind dann seine traurigen Aufgaben. Man übertreibt nicht, wenn man sagt, daß der 64 Jahre alte hochaufgeschossene Mann sein Leben den Schweinswalen gewidmet hat. Das Haus ist voller Zeichnungen der geliebten Tiere, und wenn Pfander von ihnen spricht, spürt man, wieviel sie ihm bedeuten. Doch an diesem Sonntag mittag ging es einmal nicht um einen Schweinswal. Der Rettungskreuzer Nis Randers hatte in der Flensburger Förde etwas Großes im Wasser gesehen. Pfander setzte sich ins Auto. Zwei Stunden später sahen er und seine Frau von der nahen dänischen Küste aus in etwa zwei Kilometer Entfernung die Fontäne des Wals. Ein bewegender Augenblick. Pfander vermutete einen jungen Finnwal. Doch die Freude über den seltenen Irrgast überwog nicht: "Ich dachte: O Gott, der gehört hier nicht her!" Pfander wußte natürlich, daß der letzte Finnwal in den Gewässern vor Flensburg 1911 gesichtet worden war. Damals benutzte ihn die kaiserliche Marine als Zielobjekt und tötete ihn vom Zerstörer "Württemberg" aus mit Sprengschüssen; das fünfzehn Meter lange Tier strandete auf einer Sandbank und war zwei Wochen lang eine Besucherattraktion. Es gibt gelbstichige Postkarten von damals, die den Koloß zeigen. Weitere Beobachtungen großer Wale in diesem Teil der Ostsee gibt es seitdem nicht. "Es kann 100 Jahre dauern, bis der nächste kommt", sagt Pfander.
Als sich der Schreck gelegt hatte, dachte er an den Wochentag, es war ja Sonntag. "Niemand zu erreichen", fuhr es ihm durch den Kopf. Doch bald griff ein Rädchen ins andere. Die Wasserschutzpolizei wurde alarmiert, um Sportbootführer zu informieren, erste Anfragen der Presse mußten beantwortet werden. Die Forscher steckten die Köpfe zusammen. Was ist es für ein Wal? Was macht er hier? Obwohl Pfander kein Meeresbiologe, sondern Chirurg ist, gilt er als wichtige Kapazität in der Walforschung an der Ostseeküste. Er kennt alle, die sich in dieser Region beruflich für Wale interessieren, wie den Kieler Walforscher Professor Boris Culik vom dortigen Institut für Meereskunde. Daß Culik den Wal drei Wochen später noch aus nächster Nähe in der Kieler Förde erleben würde, konnte Pfander natürlich noch nicht ahnen.
Der Finnwal auf Förden-Tournee
Könnte man sich für das Sommerloch in der Ferienregion schleswig-holsteinische Ostseeküste etwas Schöneres vorstellen? Seit vier Wochen hält der fünfzehn Meter lange und zwanzig Tonnen schwere Wal den äußersten Norden nun schon in Atem. In Flensburg fraß er sich im Hafenbecken satt, und das "Flensburger Tageblatt" schrieb: "Gestern schwamm der Wal mitten durch die Stadt." So war es ja irgendwie auch. Die Flensburger standen an der Kaimauer und staunten über den vier Meter hohen Blas, über den mächtigen grauen Rücken des Tieres, das am Tag 500 Kilogramm junge Heringe, Krill und andere Krebstiere verzehrt. Die Wasserschutzpolizei informierte: "Keine Angst vor dem Wal, er ist wie ein Fisch, nur größer!" An den Stränden Ostseebad und Wassersleben hockten Urlauber und Einheimische stundenlang auf ihren Stühlen, um das Tier im Wasser zu sehen. Und sie sahen es, wenn es nach den viertelstündigen Tauchgängen zum Atmen auftauchte. Einige standen auf und klatschen Beifall.