„Tempo“ : Verschnupfter Klassiker
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Tempo kennt jeder Deutsche. Für den Hersteller Procter & Gamble ist das schön. Und problematisch.
Die Manager des Konsumgüterproduzenten Procter & Gamble setzen auf Filme wie "Casablanca". Wenn für Humphrey Bogart und Ingrid Bergman die Stunde der Trennung schlägt, ist die Zeit des Taschentuchs gekommen. Vor fünf Jahren ließen sich die Procter-Leute deshalb eine ungewöhnliche Werbeaktion einfallen. Unter dem Motto "Zu Tränen gerührt" durften Tausende "Casablanca"-Kinogänger die feuchten Augen mit zuvor verteilten Tempo-Papiertaschentüchern trockenwischen.

Redakteur in der Wirtschaft.
Zum 75. Geburtstag in diesem Jahr feiert Procter seine Marke Tempo weniger emotional, sondern lieber mit stolzen Rückblicken. Schließlich reicht die Historie der ersten deutschen Papiertaschentuchmarke bis zum 29. Januar 1929 zurück. Damals meldeten die Vereinigten Papierwerke Nürnberg das Schneuz-Produkt beim Reichspatentamt an. 1935 übernahm Quelle-Gründer Gustav Schickedanz das Unternehmen. Erst seit 1994 gehört es zum amerikanischen Waschmittel-Multi.
„Tempo“ ist 100 Prozent der Kundschaft bekannt
Der Markensammler-Konzern (Ariel, Lenor, Pampers, Meister Proper) freut sich heute sehr über den Zukauf einer seiner bekanntesten Marke: "Der Erfolg ist meßbar: Im Jubiläumsjahr 2004 liegt in Deutschland der Bekanntheitsgrad von Tempo bei nahezu 100 Prozent", läßt die Pressestelle verlauten. Das klingt gut - und ist doch problematisch.
"Tempo ist zu einem generischen Begriff geworden", sagt der Paderborner Marketing-Professor Carsten Baumgarth. Das bedeutet: Wer Tempo sagt, meint nicht unbedingt das Papiertaschentuch von Procter & Gamble, sondern irgendein Papiertaschentuch. Die Marke muß gleichsam für die gesamte Gattung herhalten. Ein ähnliches Schicksal erleiden das Kopfschmerzmittel Aspirin und das Klebeband Tesa-Film. Und daß einst die Firma AEG den "Fön" als Marke hielt, ist heute kaum mehr einem Haartrockner-Käufer geläufig.
Und außer „Tempo“
Mit dem zum Gattungsbegriff mutierten Tempo steckt der Hersteller in einer Klemme. Wenn ein Unternehmen schon über eine gutlaufende Marke verfügt, setzt es die gerne für weitere Produkte ein. Bei Tempo könnte das zum Beispiel WC-Papier sein. Aber: Tempo und Toilette? So recht will das nicht zusammenpassen. Das neue Klopapier aus dem Hause Procter heißt denn auch Charmin. Immerhin versucht die Firma, den Bekanntheitsgrad des Papiertaschentuchs auf der Toilettenpapier-Packung ansatzweise zu nutzen: Vom Hersteller von Tempo, heißt es da etwas verschämt.
Im Vergleich zum hohen Bekanntheitsgrad von Tempo hält sich das Geschäft für Procter in Grenzen. Schon der Gesamtmarkt der Papiertaschentücher ist übersichtlich: Im vergangenen Jahr wurden etwas mehr als 300 Millionen Euro umgesetzt. Knapp ein Drittel davon entfielen auf Tempo - bezogen auf den Gesamtumsatz des deutschen Procter-Ablegers (2,6 Milliarden Euro) ein bescheidener Anteil. Zu schaffen macht Taschentuch-Marken wie Tempo und der Nummer zwei, Zewa Softis, auch der hohe Anteil von Handelsmarken: Die Quote der weißen Ware beläuft sich auf rund 40 Prozent. Kein Wunder: "Papiertaschentücher sind kaum mit besonderen Merkmalen auszustatten, der Konsument nimmt das nicht wahr", sagt Markenexperte Baumgarth.
Menthol oder Kamille
Trotzdem versuchen es die Hersteller immer wieder. Einmal ist es das Menthol- oder Kamille-Taschentuch, einmal sind es "Sondereditionen" mit Loriot- oder Garfield-Druckmotiven. Dann wird die Tempo-"Ruck Zuck Entfaltung" als großer Durchbruch gefeiert. Oder die Softis-"Tüchertasche". Und natürlich bietet jeder Hersteller stets das weichste ("Schnupfennasen wollen verwöhnt werden") und zugleich stabilste Taschentuch an ("verstärkte Kreuzungspunkte").
Anfangs verkauften die Hersteller ihre Papierware gar als Beitrag zur Volksgesundheit. Mit Stofftaschentüchern drohe eine Selbstinfektion durch Bazillen, während das Einmal-Schneuztuch nach Gebrauch "einfach vernichtet" werden könne, so die Reklame in den 30er Jahren.
Mag sein. Trotzdem ist das Stofftaschentuch noch lange nicht tot. Für "Casablanca" empfehlen Experten wie Carsten Baumgarth jedenfalls die dauerhafte Variante: "Wer will schon mit einem Papiertaschentuch seine Tränen wegwischen?"