Tag der vermißten Kinder : Wo ist Katrin?
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Vermißt seit vier Jahre: Katrin Konert Bild: Simone Kaiser
Es ist das Schlimmste, was Eltern passieren kann: Ihr Kind verschwindet, spurlos. Jedes Jahr werden in Deutschland 50.000 Kinder als vermißt gemeldet. Die meisten tauchen schnell wieder auf - manche aber bleiben verschwunden. Wie Katrin Konert. Das Mädchen wird seit vier Jahren vermißt.
Es ist Montag, der 1. Januar 2001. Am Abend überzieht Blitzeis die Birkenallee zwischen Bergen und Groß Gaddau, zwei kleinen Dörfern in der Nähe von Lüchow-Dannenberg im niedersächsischen Wendland. Katrin Konert steht an der Bushaltestelle „Bergen, Neue Straße“ am Heckenweg. Ihre schwarze Bomberjacke mit dem orangefarbenen Futter schützt die Fünfzehnjährige vor der Kälte.
Die meisten Fenster der Fachwerkhäuser gegenüber des Wartehäuschens mit dem Wellblechdach sind dunkel. Es ist still, der Schnee schluckt alle Geräusche. Nur wenige Autos fahren im Schrittempo vorbei. Katrin hält den Daumen in die kalte Luft. Es ist kurz nach 19 Uhr. In Groß Gaddau, knapp zehn Kilometer Luftlinie von der Bushaltestelle entfernt, erwachen gerade ihre Eltern nach einer rauschhaften Silvesternacht aus ihrem Mittagsschlaf. Das Handy von Nadine, einer Schwester Katrins, piept: „Zw. 18.30-19.00 z.Hse. Sag Mama & Papa Bescheid“. Eine SMS - das letzte Lebenszeichen. Seit diesem Tag fehlt von Katrin Konert jede Spur.
„Wo ist jetzt dieses ,Lächeln'“
Heute hängt an der Stelle, an der Katrin nicht zwangsläufig entführt, „aber zumindest zuletzt gesehen wurde“, auf diese Differenzierung legt Kriminalkommissar Andreas Rusche Wert, ein Plakat mit ihrem Fahndungsfoto. Auf dem Foto hat sie einen schwarzen Pagenschnitt. Um den Hals trägt sie ein Band, wie es damals Mode war, es soll aussehen wie eine Tätowierung. Das Plakat ist Gedenktafel, Mahnmal und Hilferuf zugleich. „Ich wollte doch nur nach Hause fahren“, steht da in roter Schrift. Darunter: „Wo ist jetzt dieses ,Lächeln'“ Drei Fragezeichen.
Ganz unten die Nummer der Polizeiinspektion Lüchow. Dutzende von Anrufen gingen dort ein, auch seit Katrins Eltern vor zwei Jahren die Plakatwand errichten ließen. 365 Spuren hat die „Ermittlungsgruppe 03/01“ unter Kommissar Rusche im Fall Konert verfolgt. Einige davon waren vielversprechend, manche sogar „heiß“. Die richtige jedoch, die hätte klären können, warum, wann und wohin Katrin verschwand - sie war nicht dabei.
„Sie wird bei uns immer einen Platz haben“
In Deutschland werden jedes Jahr mehr als 50.000 Kinder als vermißt gemeldet - die meisten davon tauchen schnell wieder auf. Nicht so Katrin. Wie geht es Eltern, die seit fast vier Jahren auf ihre Tochter warten? „Wie soll es uns schon gehen?“ Die Hände von Katrins Vater zittern ein wenig, als er sich eine neue Zigarette ansteckt. Er inhaliert den Rauch und zuckt mit den Achseln. Frank Konert ist erst 41 Jahre alt, aber die ständige Sorge um seine Tochter hat ihn krank gemacht. Heute ist er Diabetiker, vor ein paar Monaten bekam er einen Herzkatheter. Seine Haare sind grau, die Stirn voller Sorgenfalten. Im Eßzimmer von Familie Konert ist es duster. Kerzen brennen.
Die geblümte Wachstuchdecke auf dem Tisch hat schon bessere Tage gesehen. Auf der Anrichte steht ein künstliches Aquarium. In der Ecke türmen sich unausgepackte Kisten. Die Konerts sind umgezogen. Schon zum vierten Mal in den vergangenen zehn Jahren. Jetzt wohnen sie in einem kleinen Runddorf bei Lüchow. Frank Konert hat den Mietvertrag gleich auf zehn Jahre abgeschlossen. Katrins Sachen, die Pferdebücher, die Puhdys-Poster sind noch verpackt. Sie stehen aber schon in ihrem neuen Zimmer, also in dem Zimmer, das für sie vorgesehen ist, wenn sie wiederkommt. Frank Konert sagt: „Sie wird bei uns immer einen Platz haben.“