Sexismusdebatte : Die doppelte Moral
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Rainer Brüderle hatte mit einer anzüglichen Bemerkung gegenüber einer Journalistin die Sexismus-Debatte befeuert. Bild: dapd
Manche Menschen verurteilen sexistisches Verhalten auch deshalb, weil sie denken, das sei sozial erwünscht. Wo aber die Grenze zwischen Sexismus und Flirten verläuft, lässt sich nicht immer eindeutig sagen.
Endlich war die Wissenschaft mal schnell. Wie groß war die Empörung der Frauen wirklich, die nach Rainer Brüderles Herrenwitz unter dem Hashtag #aufschrei auf Twitter von ihren Erfahrungen mit Sexismus im Alltag berichteten? Wie groß die #scham der Männer über ihre eigenen Fehler? Alexander Schmidt und Katharina Hörstermann von der Universität Köln erweiterten spontan eine Studie, in der es eigentlich um Geschlechterrollen gehen sollte, um diesen Fragen nachzugehen. Sie erkennen in der Sexismusdebatte eine Doppelmoral: „Sexistisches Verhalten wird auch deshalb verurteilt“, sagt Schmidt, „weil diese Reaktion als sozial erwünscht gilt.“
Die beiden Wissenschaftler befragten in einer nicht repräsentativen Onlinestudie 1200 Personen zu Sexismus gegenüber Frauen. Zu Beginn und während der Umfrage zeigten sie den Teilnehmern ein Bild des vermeintlichen Forschers: Einer Gruppe präsentierten sie einen Mann als Forscher, der anderen Gruppe eine Frau. In einer Kontrollgruppe zeigten sie das Logo der Universität Köln. „Wir erwarteten, dass die Antworten gegenüber der weiblichen Forscherin stärker pro-feministisch sind als gegenüber einem männlichen“, sagt Schmidt. Tatsächlich stimmten 32 Prozent der Männer in der Kontrollgruppe der Aussage zu, dass die Sexismusdebatte längst überfällig sei. Wenn sie davon ausgingen, dass eine Frau die Studie leitet, waren es 40 Prozent. Umgekehrt stimmten 61 Prozent der Frauen in der Kontrollgruppe der Aussage zu. Wurden ihnen ein durchschnittlich attraktiver Mann präsentiert, war der Anteil mit 59 Prozent kaum geringer, bei einem hochattraktiven Forscher waren es aber nur noch 44 Prozent.
Die Grenzen zwischen Flirten und Sexismus sind fließend
„Männer wollen gegenüber Frauen nicht als sexistisch gelten“, sagt Schmidt. „Und Frauen gegenüber Männern nicht als Emanze, schon gar nicht, wenn der Forscher attraktiv ist.“ Dieser Effekt zeigt sich auch an einem zweiten Beispiel: In der Kontrollgruppe stimmten 24 Prozent der Frauen der Aussage zu, dass Frauen durch freizügige Kleidung Männer bewusst zu sexistischem Verhalten provozieren. Glaubten sie, dass der Forscher ein attraktiver Mann ist, waren es hingegen 43 Prozent.
„Sexismus ist ein sensibles Thema, und die Einstellungen dazu sind sehr ambivalent“, sagt Alexander Schmidt. Die Studie zeige, dass es schwer sei, eine Grenze zu ziehen, wo Flirten aufhört und Sexismus anfängt. „Wenn man die Unterschiede zwischen den Experimentalgruppen außen vor lässt, wird Sexismus aber immer noch recht stark verurteilt, von Frauen stärker als von Männern.“