Russische Politiker über den ESC : „Das ist das Ende Europas“
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Österreichs neuer Nationalheld: Begeistete Fans empfangen Conchita Wurst am Flughafen Wien Bild: REUTERS
Nicht nur in Österreich wird der Sieg von Conchita Wurst beim Eurovision Song Contest als Sieg der Toleranz gefeiert. Ätzend dagegen die Reaktionen aus Moskau: Europa stehe für ein „Mädchen mit Bart“, so Vizeregierungschef Rogosin.
Der Sieg der österreichischen Sängerin Conchita Wurst beim Eurovision Song Contest veranlasst die russische Politik zu scharfen Verbalattacken auf den Westen des Kontinents. Das Ergebnis zeige „Anhängern einer europäischen Integration, was sie dabei erwartet – ein Mädchen mit Bart“, schrieb Vizeregierungschef Dmitri Rogosin am Sonntag im Kurzbotschaftendienst Twitter. Der nationalistische Abgeordnete Wladimir Schirinowski sagte Europa gar den Untergang voraus.
„Unsere Empörung ist grenzenlos, das ist das Ende Europas“, sagte Schirinowski im russischen Fernsehen. „Da unten gibt es keine Frauen und Männer mehr, sondern stattdessen ein Es“, ergänzte der Politiker und fügte hinzu: „Vor 50 Jahren hat die sowjetische Armee Österreich besetzt, es freizugeben war ein Fehler, wir hätten dort bleiben sollen.“ Er bezog sich auf die Besatzungszeit in Österreichs Osten nach dem Zweiten Weltkrieg.
Der 25 Jahre alte Österreicher Tom Neuwirth hatte den ESC-Gesangswettbewerb in der Nacht zum Sonntag unter dem Namen Conchita Wurst haushoch gewonnen. Insgesamt 290 Punkte erhielt er aus 32 der 37 teilnehmenden Staaten. Auch aus Russland kamen fünf Punkte für ihn. Russland selbst landete nach den Niederlanden, Schweden, Armenien, Ungarn und der Ukraine auf Platz sieben.
Deutsche Jury liegt daneben
Auf deutscher Seite herrschte Uneinigkeit zwischen Jury und Fans: Während die Zuschauer in Deutschland die spätere Siegerin per Telefon, SMS und App auf Platz eins wählten, stimmte die fünfköpfige Jury einstimmig für Dänemark (Endergebnis Platz 9). Österreich sah die vom zuständigen NDR erkorene Experten-Jury dagegen nur auf Rang 11.
Bei Platz 2 herrschte hingegen Einigkeit: The Comon Linnets aus den Niederlanden landeten dort bei beiden Einzelwertungen und hatten dadurch den besten kombinierten Wert, weshalb es die Höchstwertung 12 Punkte gab. Beim ESC ist es Usus, die Zuschauerwertung des jeweiligen Landes mit der Jury-Wertung (fünf Musikexperten) 50:50 zu verrechnen und dann den zehn Besten die Punkte 1 bis 7, 8, 10 und 12 zu geben.
Dänemark : Conchita Wurst gewinnt den Eurovision Song Contest
Nach Kritik in vergangenen Jahren an der zum Teil intransparenten Abstimmung, veröffentlichten die ESC-Organisatoren diesmal sehr detailliert alle Punktvergaben im Internet. In der deutschen Jury saßen der Berliner Rapper Sido (eigentlich Paul Würdig), der Musiker Andreas Bourani (“Auf uns“), die Songwriterin Madeline Juno, Jennifer Weist von der Rock-Band Jennifer Rostock sowie der Talentscout Konrad Sommermeyer.
In sozialen Netzwerken herrschte, auch in anderen Ländern, zum Teil Unmut über das jeweilige Votum - die fünf sogenannten Experten hätten zu viel Macht und verfälschten Volkes Wille, hieß.
Begeisterte Fans in Österreich
In Österreich wurde Conchita Wurst von Hunderten von begeisterten Fans am Wiener Flughafen begrüßt worden. Der Triumph mit der Ballade „Rise Like A Phoenix“ sei auch ein länderübergreifender Sieg gegen die Diskriminierung, sagte der Travestiestar am Sonntag vor Reportern.
Ein Konfettiregen begleitete die frischgekürte Siegerin auf ihrem Weg zu einer internationalen Pressekonferenz mit rund 500 Berichterstattern. Fans feierten sie mit Fahnen der Alpenrepublik und Spruchbändern, Regenbogenfahnen und Sprechchören. Viele Anhänger hatten sich für den Empfang wie ihr Idol aufgemacht und sich Vollbärte ins Gesicht gemalt.
Conchita betonte, sie wünsche sich „eine Zukunft ohne Ausgrenzung und Diskriminierung“. Auch dafür sei sie in Kopenhagen auf die Bühne gegangen. Sie verstehe dies zugleich als Signal an „einige uns bekannte Politiker“, sagte die 25-Jährige. Auf die Frage, ob damit der russische Präsident Wladimir Putin gemeint sei, erwiderte die Dragqueen: „Unter anderen.“ Immer wieder hätten Reporter gefragt, wann sie wirklich verstanden habe, dass sie ESC-Siegerin sei. „Meine Antwort: Nächste Woche vielleicht“, sagte Conchita mit einem Lächeln. Ihr Triumph sei 48 Jahre nach dem Eurovision-Sieg des Österreichers Udo Jürgens für das ganze Land ein Meilenstein, hieß es in Kommentaren.
Auch die Mehrheit der österreichischen Politiker wertete den ESC-Erfolg als Zeichen für Toleranz und Respekt. Einzig die rechtspopulistische Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) wollte nicht gratulieren. Österreichs Bundespräsident Heinz Fischer erklärte hingegen: „Das ist nicht nur ein Sieg für Österreich, sondern vor allem für Vielfalt und Toleranz in Europa. Dass sie ihren Sieg all jenen widmete, die an eine Zukunft in Frieden und Freiheit glauben, macht ihn doppelt wertvoll. Ein schöner Tag für Österreich!“ Auch Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) gratulierte: „Conchita Wurst hat mit großer Stimme und beeindruckender Performance die Zuseherinnen und Zuseher überzeugt.“ Es sei höchst erfreulich und ein großes Signal, dass sich die musikalische Leistung gegen Vorurteile und Intoleranz durchgesetzt habe.