Protokoll einer Verpflanzung : Es geht eine Eiche auf Reisen
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Mit verpackten Wurzeln und gebundenen Ästen wird der Baum verladen Bild: Mutter, Anna
Bernhard von Ehren verkauft in Hamburg alte Bäume. Michael Veith sammelt sie in seinem Garten im Elsass. Hier ist das Protokoll einer Verpflanzung.
So einen Baum muss man erst einmal aus dem Anhänger bekommen. Die Stieleiche, lateinisch Quercus robur, landläufig deutsche Eiche, ist zwölf Meter lang, fünfeinhalb Tonnen schwer und füllt den Hänger des Sattelzugs fast vollständig aus. Der Kran ächzt, als er die Ketten auf Spannung bringt. André Merkling, Wollmütze, Spitzbart, leicht als Gärtner zu erkennen, zwängt sich unter den Baum. Er zerrt am Stamm, um ihn in die richtige Lage zu bekommen, löst Äste, die sich verkeilen, brüllt Kommandos zum Kranführer.
Der Wurzelballen ragt auf der Seite des Führerhauses schon über das aufgeraffte Dach, aber am hinteren Ende des Anhängers biegen sich die Äste unter einer Querstrebe. Der Kran zieht weiter, es raschelt und knarzt, dann schnalzen die Äste in die Höhe. Einen Moment lang vibriert die Eiche wie eine Stimmgabel, ein kurzer Schauer braunen Laubs fällt herunter, und endlich scheint sie waagerecht zu schweben. Michael Veith beobachtet das Spektakel, das ihm und seinem Lebensgefährten Michael Heiss viel Geld wert war. „Ein Traum“, wird Veith in einigen Stunden sagen, wenn die Eiche wie selbstverständlich in seinem Garten steht. Und Heiss wird sagen: „Ich liebe Eichen einfach, ich kann auch nicht genau erklären, wieso.“
Verwurzelung, Tradition, Heimat
Kein anderer Baum steht so sehr für Verwurzelung, Tradition, Heimat. Bis aus einer Eiche aber der Baum geworden ist, aus dem sich derlei Folklore speist, vergeht viel Zeit. Das Exemplar, das sich Michael Veith für sein Wochenendhaus im Elsass gekauft hat, ist etwa 45 Jahre alt und noch lange kein knorriger Riese. Sein Stammumfang misst keinen Meter. Wer eine stattliche Eiche im heimischen Garten haben möchte, braucht also viel Geduld. Oder viel Geld. Für eine Eiche von 40 oder 50 Jahren muss man mehr als 10 000 Euro ausgeben. Einen Markt dafür gibt es. Eine Handvoll Baumschulen in Deutschland bieten im großen Stil Bäume dieses Alters an, Eichen, Eiben, Linden, Trauerweiden.
Eines dieser Unternehmen ist die Baumschule Lorenz von Ehren mit Sitz in Hamburg-Marmstorf. Hierher stammt Veiths Eiche. Die Firma bedient vor allem Großkunden, Kommunen oder Landschaftsarchitekten. Die Baumschule hat Silberlinden für den Hamburger Jungfernstieg geliefert und kegelförmig geschnittene Eiben für Schloss Versailles. Aber die Zahl an Privatkunden, die alte Bäume kaufen, ist laut Bernhard von Ehren, der den Familienbetrieb in fünfter Generation leitet, in den vergangenen Jahren gestiegen. „Wir beobachten das etwa seit Anfang der Wirtschaftskrise“, sagt er. „Das hat etwas mit dem Rückzug ins Private zu tun, mit dieser ganzen Landlust-Bewegung.“ Aus dem Wunsch nach Heimeligkeit hat er ein internationales Geschäft gemacht. Interessenten findet Bernhard von Ehren von Irland bis Kasachstan, von Skandinavien bis Südfrankreich.
Alle vier Jahre wird ein Baum „verschult“
Wer mit ihm im Kleinbus über die fast 400 Hektar Produktionsflächen am Hamburger Firmenstandort fährt, erkennt in dem Geschäftsmann schnell den Gärtner. Bevor er Wirtschaft studierte, hatte er eine Ausbildung zum Gärtner gemacht, um zu wissen, womit er später handeln würde. Bernhard von Ehren, schlank, graumeliertes kurzes Haar, steuert in Schlangenlinien durch die Baumreihen, weil Bagger auf den nassen Wegen tiefe Furchen hinterlassen haben.