Autobahnblockaden in Berlin : „Eine langweilige Latschdemo wird kaum aufgegriffen werden“
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Kein Durchkommen auf der A100: Klimaaktivisten blockieren Anfang Februar eine Autobahn Bild: dpa
Statt einer Diskussion über ihre Forderungen haben die Autobahnblockaden zu Wut bei Autofahrern und einer Debatte über zivilen Ungehorsam geführt. Ein Forscher erklärt im Interview das Kalkül der Aktion.
Herr Sommer, aktuell machen Klimaaktivisten in Berlin mit der Blockade einer Autobahn Schlagzeilen: Sie fordern ein Gesetz gegen Lebensmittelverschwendung und eine Agrarwende. Bisher haben sie damit vor allem die Wut vieler Autofahrer auf sich gezogen. Ist das überhaupt zielführend, Menschen zu verärgern, um sie auf mehr oder weniger berechtigte Anliegen aufmerksam zu machen?
Das hängt vom Ziel des Protests ab. Die Klimaaktivisten in Berlin sind sich vermutlich einig, dass sie keine Sympathien bei denen, die gerade auf dem Weg zur Arbeit sind, hervorrufen. Es geht darum, ein Zeichen für die Zuspitzung der Klimakrise zu setzen. Die Protestform verdeutlicht die Dringlichkeit und die Verzweiflung derjenigen, die später von den Folgen der Krise betroffen sein werden. Diese Blockade erscheint ihnen deshalb als ein letztes Mittel, um sich Gehör zu verschaffen. Aber klar: Für die Sympathien in der Bevölkerung ist das nicht unbedingt zuträglich.
Also sind wütende Reaktionen eingepreist?
Die Reaktion auf Blockaden hat verschiedene Dimensionen. Gerade in dem Fall der Berliner Autobahnblockaden scheint die öffentliche Wahrnehmung des Protestziels zu kurz zu kommen. Es wird nicht klar, wie die Blockade der Autobahn inhaltlich mit unserer Ernährung zusammenhängt. Wenn man die Autobahn besetzt, weil man eine Verkehrswende fordert, sieht die Situation ganz anders aus – die Verbindung von Protestform und -inhalt ist offensichtlich und nachvollziehbar. Oder wenn man beim Thema Ernährung Lebensmittelkonzerne besetzt, die unter besonders schlechten Bedingungen produzieren. Das stellt sich in den Augen der Bevölkerung dann auch legitimer da.
Wie entscheidend ist die Unterstützung der Bevölkerung?
Es gibt verschiedene Strategien von Protest. Das sehen wir gerade an der großen und heterogenen Klimabewegung hierzulande sehr gut. Mit Fridays for Future haben wir eine Bewegung, die darauf abzielt, die Breite der Bevölkerung zu erreichen. Mit Erfolg: Sie haben Hunderttausende auf die Straße gebracht – und zwar nicht nur Kinder und Jugendliche, sondern auch Erwachsene. Das ist ein Teil der breiten Bewegung, der ein Umdenken in der breiten Bevölkerung erreichen will, um dadurch indirekt die Politik zu beeinflussen.
Und der andere Teil?
Der sagt: Über diesen indirekten Weg passiert uns zu wenig. Für diese Perspektive ist die Unterstützung der Bevölkerung weniger wichtig. Sie versuchen direkten Druck auszuüben, sei es auf die Lebensmittelproduktion oder eben die Politik, die Richtlinien für diese festsetzt. Da ist dann die Wahrnehmung, dass man dafür nicht unbedingt Sympathien braucht, sondern in erster Linie Aufmerksamkeit. Und die wird durch die Bilder, die diese Protestform schafft, generiert.
Aber genau das hat ja eigentlich nicht geklappt: Statt über die Forderung ist eine Diskussion über zivilen Ungehorsam entbrannt.
Das führt uns zum einen wieder dahin zurück, dass der Zusammenhang von Art und Inhalt der Blockade nicht ganz klar ist. Zum anderen liegt es auch daran, dass sich nur relativ wenige Menschen an den Blockaden beteiligen, das sind nur ein paar Dutzend. Erst eine größere Masse verleiht auch Blockaden Legitimität. Beides führt dazu, dass derzeit kaum über die Forderungen der Klimaaktivisten geredet wird – und das primäre Ziel der Protestanten, das inhaltliche Anliegen in den Vordergrund zu rücken, eher verfehlt wurde. Gerade Zwischenfälle, wie das ein Krankenwagen nicht durchkommt oder eine Schwangere von der Polizei mit Blaulicht abgeholt werden muss, führen dann dazu, dass statt dem Inhalt die Risiken dieser Protestform in den Vordergrund gerückt werden.
Welchen Einfluss hat die Wahl der Protestform auf den Erfolg von Bewegungen?
Verschiedene Protestbewegungen haben unterschiedliche Definitionen von Erfolg – deshalb ist für sie eine zentrale Strategiefrage, welche Protestform ihrem Ziel besonders zuträglich ist. Bei Fridays For Future etwa waren die freitäglichen Demonstrationen auf der einen Seite sinnvoll, um mediale Aufmerksamkeit zu generieren, aber auch um die Identität der Bewegung zu stärken, die Anhänger zu mobilisieren und neue zu generieren.
Also steht gar nicht immer die Durchsetzung der Forderung im Fokus?
Genau, auch das Innenleben der Bewegung zu stärken kann ein Ziel von Protest sein. Die Protestform ist außerdem essenziell, wenn eine Bewegung mediale Aufmerksamkeit erzeugen will. Eine langweilige Latschdemo wird kaum aufgegriffen werden – im Gegensatz etwa zu wahnsinnig großen Veranstaltungen, wie bei den Fukushima-Demonstrationen, oder wenn wie bei Fridays for Future Kinder und Jugendliche Demonstrieren und kreative Pappschilder hochgehalten werden, oder wenn Prominente beteiligt sind. Solche Protestformen sind aus Sicht der Bewegungen deshalb immer gegenüber denen zu bevorzugen, die als langweilig wahrgenommen werden.
Moritz Sommer ist politischer Soziologe am Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung und Vorstandsmitglied des Instituts für Protest- und Bewegungsforschung.