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Promi-Kult : Das göttliche Ich

  • -Aktualisiert am

Michael Schumacher, Thomas Hitzlsperger, Christian Wulff: Das ganz Private der Promis ist maximal öffentlich geworden, Millionen nehmen Anteil daran. Das Internet ist die Vollendung des Menschenkults.

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          In diesen Tagen sind die Menschen wieder einmal ganz mit ihresgleichen beschäftigt. Millionen bewegt das Schicksal Michael Schumachers. Das Internet flirrt vor Beileidsbekundungen, große Magazine drucken Titelgeschichten, vor seinem Krankenhaus lösen sich besorgte Fans ab, einige projizieren ihre Wünsche mit Beamern an die Fassade. Eine ähnliche Welle der Sympathie hat der Fußballspieler Thomas Hitzlsperger erfahren, der sich vergangene Woche zu seinem Schwulsein bekannte. Das ganz Private, der Kampf mit dem Tod, sexuelles Anderssein wird millionenfach beredet, wird maximal öffentlich.

          Was spielt sich da ab? Es ist eine eigentümliche Faszination für die Erfolgreichen, Schönen, Mächtigen, eine Faszination, der sich selbst die schon Angekommenen nicht entziehen können: Das Eigenartige am Fall des Expräsidenten Christian Wulff ist nicht so sehr mutmaßliche Kungelei, sondern dessen peinliche Bewunderung der vermeintlich höheren Gesellschaft.

          Je komplexer die Welt, desto größer die Sehnsucht

          Es ist wahrhaftig kein neues Phänomen. Es ist etwas ganz Archaisches, Instinktives, das sich umso mehr Bahn zu brechen scheint, je komplexer, rationaler und digitaler die Welt wird. Die Götter der alten Griechen waren Verkörperungen menschlicher Ideale und Leidenschaften, die androgyne Anmut Athenes hat viele Menschen berührt und immer wieder auch um den Verstand gebracht. Das Christentum, später auch der Islam, entmenschlichte den Himmel, gleichzeitig stiegen Macht, Einfluss und Bedeutung der Irdischen.

          In Fahrt kam der Kult der Prominenten aber erst im Zeitalter der Massenmedien. Die medialen Möglichkeiten der Vergötterung explodierten und erlaubten Karrieren, die früher undenkbar waren. Muskeln waren plötzlich Millionen wert, ein Busen konnte die halbe Welt faszinieren. Schauspieler und Sportler, allen voran Fußballer, wurden zu Weltstars, denen selbst inmitten der Neidgesellschaft ihre Millionen nicht geneidet wurden.

          Ein Werkzeug, das eine fast göttliche Aura erschafft

          Das Privatfernsehen schuf neue Formen der irdischen Anbetung. Wie eine Prominentenmanufaktur machte es Menschen einfach nur deshalb berühmt, weil sie von den TV-Machern dazu erkoren wurden, berühmt zu werden. Einer ganzen Generation wurde vorgegaukelt, dass das Sosein genüge, um berühmt zu werden.

          Nichts allerdings hat die Vergötterung des Ichs so befördert wie das Internet. Plötzlich hatte jeder Mensch ein multimediales Werkzeug an der Hand, das nicht etwa die Verbindung zur Transzendenz erleichtert, sondern eine fast göttliche Aura verschafft, wenn man nur die richtige Melodie trifft. Das Netz ist die Vollendung des Menschenkults, irdisch in seinen Schwächen, aber fast überirdisch kraftvoll. Das griechische Universum ist endgültig auf der Erde angekommen.

          Suche nach Trost und Versöhnung

          Das Spiegelbild zum Prominentenkult ist die Lust, es ihnen nachzutun. Stars wie Miley Cyrus exhibitionieren sich über Facebook und Youtube vor einem Millionenpublikum. Was wiederum zahllose Eltern dazu zwingt, ihre Kinder permanent davon abzuhalten, das Gleiche zu tun. Mit sichtbar mäßigem Erfolg. Im vergangenen Jahr waren erstmals mehr als 1,1 Milliarde Menschen Mitglied bei Facebook, das deshalb so erfolgreich ist, weil es der Sehnsucht nach Anerkennung und einer in Voyeurismus umschlagenden Neugier eine perfekte Plattform gibt. Das Selfie, nicht selten in prahlerischer Absicht aufgenommen, wurde zum Wort des vergangenen Jahres. Und auf Plattformen wie Tumblr wächst täglich die Zahl derjenigen, die selbst das Privateste, den Liebesakt, zum freiwillig öffentlich geteilten Ereignis werden lassen.

          Warum tut das jemand? Es sind ähnliche Motive, die einstmals Menschen in die Kirche trieben: die Suche nach Trost und Versöhnung. Das Netz hat nie gekannte Möglichkeiten geschaffen, sich an die früher Unnahbaren heranzustalken. Die gefühlte Nähe zu Reichen, Schönen und Mächtigen hilft zumindest für Momente, die Sorgen des Diesseits zu verdrängen. Und der Klatsch, der Zwilling des Prominentenkults, durch Chats, Tweets, Postings im Netz millionenfach verstärkt, dient als Transmission. Kein Wunder, dass ernstzunehmende Psychologen ein Drittel der Amerikaner bereits für „promisüchtig“ halten.

          Eine Nähe, die etwas Trügerisches hat

          Die kuschelige Nähe zu allem und jedem hat allerdings etwas Trügerisches. Die Verbindungen, die das Netz zwischen den großen und kleinen Stars schafft, sind flüchtig, der Ruhm ist es auch. Und so wie im Netz haben sich die Aufstieg-Absturz-Zyklen allerorten rasant beschleunigt. Die Guttenbergs wurden innerhalb weniger Monate zu deutschen Ersatz-Royals. Und verließen wenig später fluchtartig das Land. Die Funktionäre der Piratenpartei zerbrachen reihenweise an ihrer Turboprominenz. Das Paradoxe dabei war, dass sie ausgerechnet an den Mechanismen ihres ureigenen Mediums scheiterten.

          Geholfen hat das Netz vor allem jenen, denen eine Illusion genügt, um sich wohler zu fühlen. Vermeintliche Nähe zur Prominenz. Freunde, die keine sind. Gespielte Fürsorge, der keine Hilfe folgt. Nur eins hat das Netz bisher nicht geschafft: ein Platz zu werden für Menschen, die in sich ruhen, die eins sind mit sich selbst. Auch das war mal ein irdisches Ideal.

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