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LGBT-Parade in Polen eskaliert : „Wir hatten Angst um unser Leben“

  • -Aktualisiert am

Immer wieder versuchen rechte Hooligans die Parade zu durchbrechen. Insgesamt ist es zu 25 Festnahmen gekommen. Bild: Reuters

Steine fliegen, Hooligans prügeln: Im polnischen Nordosten ist eine Parade von Schwulen und Lesben in Gewalt untergegangen. Ein junger Pole erzählt der F.A.Z. von dem Tag – und seinen Erfahrungen mit Diskriminierung in Polen.

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          Am Samstag findet in der polnischen Stadt Bialystok im Nordosten Polens mit 300.000 Einwohnern eine Gay-Pride-Parade statt – und eskaliert: Eine Gruppe von Hooligans attackiert Schwule, schmeißt mit Steinen und Flaschen; aber auch die katholisch-geprägte, konservative Bevölkerung der Stadt stellt sich gegen die Lesben, Schwulen, Bi- und Transsexuellen (LGBT). Der 29 Jahre alte Bartek Górski war einer von 800 Teilnehmern. Seine Eltern kommen ursprünglich aus der Stadt, er selbst ist mittlerweile weggezogen. Gegenüber der F.A.Z. schildert er die Erlebnisse. Es ist das erste Mal, dass Menschen der LGBT-Bewegung in dieser Region überhaupt auf die Straße gingen.

          „Schon bevor die Parade überhaupt angefangen hatte, war die Stadt schon mit Hooligans überschwemmt“, erzählt Górski. In der Presse und in der Kirche habe es Hetzkampagnen gegeben, es wurde immer wieder zu Gegendemonstrationen aufgerufen. Die landesweite Zeitung „Gazeta Polska“ verteilte sogar Sticker mit der Aufschrift „LGBT-freie Zone“. Auch die Fanszene des lokalen Fußballvereins Jagiellonia Bialystok habe eine Gegenkundgebung organisiert. „In der Nacht zum Samstag haben sie eine Mahnwache im Stadtzentrum gehalten“, sagt Górski, „genau dort, wo wir mit unserer Parade beginnen wollten“.

          Zu Beginn habe die Polizei noch versucht, eine Eskalation zu vermeiden. Deshalb ließen sie die Hooligans und andere extrem rechte Aktivisten zunächst an Ort und Stelle. „Aber als wir mit unserer Parade begonnen haben, sind die Hooligans auf uns losgegangen und haben uns attackiert“, so der 29 Jahre alte Pole. Die Teilnehmer der Parade wurden mit Eiern, Böllern, Steinen und Glasflaschen beworfen. Auch einige Polizisten wurden angegriffen. Am Ende des Tages sprechen die Behörden von 25 Festnahmen. „Es herrschte totales Chaos, die Polizei wusste nicht mehr, was sie tun soll. Es schien, als würden die Hooligans aus jeder Ecke gelaufen kommen.“ Górski war mit zwei jungen Frauen unterwegs. Als es gefährlich wurde, fingen viele Menschen an zu weinen, berichtet er, kurzzeitig bricht Panik aus. „Wir hatten einfach Angst um unser Leben.“

          Wenig später schien es, als habe die Polizei die Situation wieder im Griff. Die Beamten stellten sich links und rechts der Parade auf und schirmten den weiteren Weg ab. Die Strecke musste immer wieder umgeleitet werden, da die Hooligans den Schilderungen zufolge mehrmals versuchten, den Polizeischutz zu durchbrechen. Der Weg führte nun durch Wohngebiete. Dort fielen von oben Mehlpackungen und Wasser auf die Paradeteilnehmer herab. Die Bewohner hatten angefangen, Haushaltsgegenstände auf die Menschen von oben zu werfen. „Das war so entmutigend. Das war kein Hass von irgendwelchen Rechtsextremen, sondern von den eigentlich normalen, bürgerlichen Menschen“, erzählt Górski. Immer wieder muss die Parade anhalten, während die Polizei versucht, den weiteren Weg zu sichern. „Wir stehen hier seit 15 Minuten oder so. Wir sind von Hooligans umzingelt“, schreibt er zwischenzeitlich auf Instagram.

          Auf seinem Instagram-Account mit rund 3000 Followern hält der 29 Jahre alte Mann fest, wie er und andere Teilnehmer auch verbal angegangen werden: Sätze wie „Eine normale Familie besteht aus Mann und Frau“ oder „Schämst du dich nicht?“ muss er sich anhören. „Oft sagen die Leute auch, wir wären pädophil und sollten zum Arzt gehen.“ Viel schlimmer fände er aber etwas anderes: Viele von den rechten Aktivisten hätten ihre Kinder mitgebracht. Es sei schlimm zu sehen, wie sie versuchten, diese „hasserfüllten Einstellungen an die nächste Generation weiterzugeben“, meint Górski.

          In Polen wurde 2018 die Wahl von „Mr. Gay Europe“ durchgeführt. Die Diskriminierung unter anderen von Schwulen und Lesben hat sich dadurch kaum verändert. „In Warschau bin ich schon zweimal verprügelt worden – mitten am Tag.“ Dabei sei es in Warschau schon eher akzeptiert, als geouteter Schwuler zu leben, erzählt er. In Bialystok kennt er hingegen nur sehr wenige Menschen, die sich trauen, offen mit ihrer Sexualität umzugehen. „Aber ehrlich gesagt, dass ich beleidigt oder verbal angegangen werde, kann mir überall in Polen passieren.“

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