Pfarrer über Suizid von Syrer : Geständnis im Gemeindebrief
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Titelblatt des Gemeindebriefes, in dem der Pfarrer seine Beichte abgelegt hat. Bild: Screenshot
Ein katholischer Pfarrer aus Rheinland-Pfalz hat eine Beichte abgelegt: Er habe das Vertrauensverhältnis zu einem traumatisierten Flüchtling ausgenutzt und ein körperliches Verhältnis mit ihm gehabt. Dann habe ihn der junge Mann angezeigt. Und sich schließlich das Leben genommen.
Es ist ziemlich genau ein Jahr her, dass es im rheinland-pfälzischen Kirn zu einem tödlichen Unfall kam: Laut einer Polizeimeldung lief am 9. Dezember 2016 gegen 19.30 Uhr „plötzlich und unvermittelt“ ein 23 Jahre alter Mann vom Gehweg auf die Straße – und ließ einem Autofahrer keine Chance mehr, um auszuweichen. Der junge Mann starb später im Krankenhaus.
Ein Jahr später sind neue Informationen zu dem Suizid bekannt geworden: Zu finden sind sie in dem Gemeindebrief der katholischen Pfarreiengemeinschaft Kirn. Der Brief beginnt mit einem Hinweis auf die Weihnachtskollekte 2017, es folgt ein Adventsgedicht („Sehet auf, ihr, deren Blick schuldbeladen sich nicht erheben kann“), und schließlich ein persönlicher Brief des Pfarrers, der offenbar seit mehr als einem Jahr krankgeschrieben ist. Es ist eine Art Beichte, die der Mann ablegt – und mit der er auch den Verzicht auf seine Pfarrstelle erklärt.
Der Pfarrer schreibt, dass der 23-Jährige, der sich im vergangenen Jahr das Leben genommen hatte, ein Flüchtling aus Syrien gewesen sei, der bei ihm Hilfe wegen einer schweren Traumatisierung gesucht habe. Weiter schreibt er: „Hier hat sich schließlich eine auch körperliche Intimität ergeben, die dieser Situation nicht angemessen war.“ Er habe die Distanz, die seine Rolle als Priester geboten hätte, nicht gewahrt. „Ich habe das Vertrauensverhältnis in nicht angemessener Weise ausgenutzt.“
Offenbar sah das auch der 23 Jahre alte Syrer so: „Kurz vor seiner Selbsttötung hat der Mann Anzeige bei der Staatsanwaltschaft gegen mich erstattet“, schreibt der Pfarrer. Diese habe das Verfahren jedoch kurz darauf eingestellt, weil kein Straftatbestand vorgelegen habe. Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Bad Kreuznach bestätigte das am Montag auf Anfrage. Der 23-Jährige habe eine sehr allgemein gehaltene Anzeige wegen sexueller Aktivitäten erstattet. „Er fühlte sich wohl ausgenutzt“. Man habe ihn noch mal vernehmen wollen, dazu sei es aber nicht mehr gekommen, weil sich der Mann schon das Leben genommen hatte. „Es gibt keinerlei Hinweise darauf, dass der Pfarrer sich in irgendeiner Form strafbar gemacht hat“, sagte der Sprecher. Weder habe der 23-Jährige von Gewalt berichtet, noch habe ein Abhängigkeitsverhältnis im strafrechtlichen Sinne bestanden: „Ein Pfarrer ist rechtlich betrachtet nicht der Betreuer seiner ganzen Gemeinde.“
Der Seelsorger macht sich aber offenbar auch ohne Anklage genug Vorwürfe: Von sich aus weist er in seinem Brief Vorwürfe zurück, dass der Suizid etwas mit seinem Verhältnis zu dem Mann zu tun gehabt habe: Es gebe, „nach allem, was wir wissen, keinen direkten Zusammenhang zwischen unserem Kontakt und der Entscheidung des Mannes, sich das Leben zu nehmen.“ Die Gründe seien vermutlich in seiner Traumatisierung zu suchen. „Dessen ungeachtet belastet mich die Tatsache sehr“, schreibt der Pfarrer.
„Er hat die Kirche hier wieder interessant gemacht“
Er sei deswegen schon länger in Behandlung und werde die Therapie jetzt mit einem längeren stationären Aufenthalt in einer Klinik fortsetzen. „Mit dem Bischof habe ich vereinbart, dass wir über meinen künftigen Einsatz als Priester erst gegen Ende der Therapie sprechen werden.“ Eine Sprecherin des Bistums Trier bestätigt das auf Anfrage. Es habe ein persönliches Gespräch mit dem Bischof gegeben, nach dem Ende der Therapie werde man schauen, wo der Pfarrer künftig eingesetzt werde. Warum ein Mann, der das Vertrauensverhältnis zu einem schwer traumatisierten Mann „in nicht angemessener Weise ausgenutzt“ hat, weiter für das Bistum arbeiten darf? „Die Verfehlungen wurden im Rahmen eines Disziplinarverfahrens im Auftrag des Bischofs von Trier untersucht und auch geahndet“, heißt es in einer Stellungnahme des Bistums. Dem Pfarrer sei auferlegt worden, künftig nicht mehr in der Flüchtlingshilfe zu arbeiten. „Damit ist die Angelegenheit dienstrechtlich abgeschlossen.“
Im rheinland-pfälzischen Kirn selbst ist die Bestürzung unterdessen groß: Sven Dörfling ist im Vorstand der örtlichen Pfadfinder und hatte viel mit dem Pfarrer zu tun. „Wir sind beide etwa gleichzeitig hier angekommen, er hat mein jüngstes Kind getauft. Und er hat die Kirche wieder interessant gemacht, ist vor allem auf die jungen Menschen zugegangen.“ Die Pfadfinder machten zum ersten Mal seit langem wieder beim Gemeindefest mit, auch kleine Kinder seien in dem modernen Gottesdienst willkommen gewesen. „Wir hatten ein sehr freundschaftliches Verhältnis, er hatte immer ein Lächeln auf den Lippen, bis er dann krank geworden ist.“ Was er von der Geschichte hält, die jetzt bekannt geworden ist? „Das hätte nicht passieren dürfen“, sagt Dörfling. „Aber da gehören ja auch immer zwei dazu.“
Hilfe bei Suizidgedanken
Wenn Sie daran denken, sich das Leben zu nehmen, versuchen Sie, mit anderen Menschen darüber zu sprechen. Es gibt eine Vielzahl von Hilfsangeboten, bei denen Sie – auch anonym – mit anderen Menschen über Ihre Gedanken sprechen können.
Das geht telefonisch, im Chat, per Mail oder persönlich.
Die Telefonseelsorge ist anonym, kostenlos und rund um die Uhr erreichbar. Die Telefonnummern sind 0 800 / 111 0 111 und 0 800 / 111 0 222.
Der Anruf bei der Telefonseelsorge ist nicht nur kostenfrei, er taucht auch nicht auf der Telefonrechnung auf, ebenso nicht im Einzelverbindungsnachweis.
Ebenfalls von der Telefonseelsorge kommt das Angebot eines Hilfe-Chats. Die Anmeldung erfolgt auf der Website der Telefonseelsorge. Den Chatraum kann man auch ohne vereinbarten Termin betreten. Sollte kein Berater frei sein, klappt es in jedem Fall mit einem gebuchten Termin.
Das dritte Angebot der Telefonseelsorge ist die Möglichkeit der E-Mail-Beratung. Auf der Seite der Telefonseelsorge melden Sie sich an und können Ihre Nachrichten schreiben und Antworten der Berater lesen. So taucht der E-Mail-Verkehr nicht in Ihren normalen Postfächern auf.
Bei einer normalen, einvernehmlichen Affäre zweier gleichberechtigter Partner mag das stimmen. Aber auch wenn strafrechtlich kein Abhängigkeitsverhältnis besteht: Ein Seelsorger und ein hilfesuchender Mensch sind nicht gleichberechtigt, sagt die Psychiaterin Maya Schuppli-Delpy. In ihrem Vortrag zu „Sexuellen Grenzüberschreitungen in Therapie, Pflege und Seelsorge“ heißt es, wer seelischen Beistand suche, sei „a priori in einer unterlegenen, verletzlichen und abhängigen Position“ – und auf die persönliche Integrität, die Uneigennützigkeit und die Kompetenz der hilfeleistenden Person angewiesen.
Schwierig wird es, wenn der Helfende eigentlich selbst Hilfe bräuchte. So erklärt sich der Pfarrer seinen Fehltritt: Ihm seien während der Flüchtlingskrise immer mehr Aufgaben zu- und schließlich „über den Kopf gewachsen“. Jetzt will er in der Klinik daran arbeiten, „eine gefestigte Handlungssicherheit für die Zukunft zu gewinnen“. Seine Gemeinde bittet er um Verzeihung, „sofern Ihnen das möglich ist“. Pfadfinder-Chef Sven Dörfling braucht er nicht lange zu bitten: Er hofft, dass sein alter Freund bald wieder festen Boden unter den Füßen findet: „Wenn er gefestigt ist, ist er ein sehr guter Pfarrer. Jede Gemeinde könnte sich dann glücklich schätzen, ihn zu haben.“