Öffentliche Wahrnehmung : „Schlechte Nachrichten sind glaubwürdiger“
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Medienforscher Frank Brettschneider Bild: picture alliance / dpa
Ob Teenager-Schwangerschaften, Sozialbetrug oder Einwanderung - viele Briten überschätzen die sozialen Probleme in ihrem Land. Im Interview erklärt ein Kommunikationswissenschaftler, wie die Situation in Deutschland aussieht und was die Medien dagegen tun können.
Soziale Probleme werden nicht nur in Großbritannien, sondern auch in Deutschland teils massiv überschätzt, glaubt Kommunikationswissenschaftler Frank Brettschneider von der Universität Hohenheim.
Eine Studie bescheinigt den Briten, dass die öffentliche Wahrnehmung bei sozialen Themen oft deutlich daneben liegt. Sind die Deutschen da besser?
Nein. Das ist bei uns weitgehend auch so. Aber nicht nur bei uns, sondern das ist auch in den Vereinigten Staaten und vielen anderen Ländern nachgewiesen.
Woran liegt das?
In der Kommunikationswissenschaft gibt es dafür den Begriff der Kultivierungshypothese. Das bedeutet, dass die Darstellung der Medien die öffentliche Wahrnehmung prägt. Und dort liefern negative Nachrichten in der Regel größere Schlagzeilen als positive Meldungen. Bei der allgemeinen Wirtschaftslage, der Sicherheit der Renten oder dem Kriminalitätsniveau wird daher die gesellschaftliche Entwicklung als problematisch eingeschätzt. Auf der privaten Ebene sagt man dagegen in denselben Bereichen: Alles überhaupt kein Thema. Das ist eigentlich paradox, denn man sollte ja meinen, dass die Summe der Einzelmeldungen der öffentliche Wahrnehmung entspricht. Aber diese Kluft ist sehr, sehr gut nachgewiesen.
Die Berichterstattung ist also nicht ausgewogen genug?
Weltweit hat sich der Nachrichtenfaktor des Negativismus etabliert. Zum Beispiel wird groß über die wirtschaftlichen Probleme von Karstadt berichtet. Aber ist das überhaupt ein typischer Fall? Es gibt ja auch zahlreiche Neugründungen, aber die sind in den Medien nicht so präsent.
Was können Medien denn tun, um diese Tendenz zu überwinden?
Zuerst müssen Journalisten das zur Kenntnis nehmen. Und dann sollten sie in der Auswahl der Nachrichten nicht übermäßig auf negative Aspekte achten. Sie sollen natürlich nicht schönfärben, aber etwas ausgewogenere Berichterstattung wäre schon wünschenswert. Wenn zum Beispiel bei den Arbeitslosenzahlen eine gewisse Grenze nach oben hin durchbrochen wird, werden große Schlagzeilen formuliert. Wenn die Zahlen wieder sinken, fehlen diese Schlagzeilen.
Wieso haben es schlechte Nachrichten so viel leichter, von den Medien ausgewählt zu werden?
Manche Kollegen vermuten, dass Negatives seit jeher wichtiger war und eben nach wie vor ist. Wenn man in der Steinzeit auf die Jagd ging, war die Warnung „Achtung, Säbelzahntiger!“ wichtiger als die Meldung „Alles ist ruhig“. Ich glaube aber, dass es vor allem daran liegt, dass negative Meldungen glaubwürdiger sind. Bei positiven Nachrichten kommt gleich die Frage auf, für wen da Lohnschreiberei betrieben wird. Von journalistischer Seite kommt außerdem oft das Argument, dass Negatives beliebter beim Leser ist. Aber dafür gibt es keinen empirischen Beleg. Leser wollen ausgewogene Berichterstattung.
Haben Journalisten die Alleinverantwortung für die schlechte öffentliche Wahrnehmung von sozialen Themen. Welche Rolle spielt zum Beispiel die Politik?
Die Politik hat selbstverständlich ebenso eine Verantwortung. Das Problem ist, dass Nachrichten aus Parteien nur sehr gefiltert wahrgenommen werden. Wenn die CDU mitteilt, dass es dem Land gut geht, werden SPD-Anhänger das erst einmal für wenig glaubwürdig halten. Anders herum gilt genau dasselbe.
Warum schlagen populistische Parteien aus der negativ gestimmten öffentlichen Meinung dann nicht mehr Kapital?
Bei Landtagswahlen haben wir den Erfolg populistischer Parteien ja schon beobachtet. Erinnern Sie sich etwa an die Schill-Partei in Hamburg oder an den Erfolg rechtsextremer Kräfte in Ostdeutschland. Bei der Bundestagswahl ist die Gefahr in Deutschland geringer, auch wegen unserer Geschichte. Außerdem hat der Negativismus der Medien ausgerechnet vor der Bundestagswahl abgenommen - das kann sich aber schnell wieder ändern.