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Missstände im Klassenzimmer : „Ich werde keinem Kind mehr gerecht“

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Aufmerksame Schulanfänger der Grundschule Crossen in Zwickau: nicht überall verläuft der Unterricht so problemlos. Bild: dpa-Zentralbild

Die Lehrer schlagen Alarm: Inklusion, Flüchtlingskinder, Apathie – guter Unterricht sei kaum noch möglich. Und die Klassen würden nicht ausreichend unterstützt. Eine Betroffene erzählt.

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          Ich bin seit 15 Jahren Lehrerin, aber wenn ich gewusst hätte, dass der Unterricht irgendwann mal so aussieht wie jetzt, hätte ich einen anderen Beruf gewählt. Ich unterrichte an einer ganz normalen Grundschule in Frankfurt. Eine durchschnittliche Klasse sieht heute so aus: Von 25 Kindern können ein Drittel nicht richtig Deutsch sprechen, etwa acht Kinder sind verhaltensauffällig, dazu kommen hochbegabte Kinder, traumatisierte Flüchtlingskinder und noch ein Inklusionskind, das besonderer Förderung bedarf. Auf der Strecke bleiben die paar normalen, unauffälligen, lernbegierigen Kinder, die einfach mitlaufen, weil man als Lehrerin keine Zeit für sie hat.

          Inklusion ist eigentlich eine gute Sache, aber nicht unter diesen Bedingungen. Es gibt Kinder, da lohnt es sich sehr, sie in der Regelschule zu integrieren, aber bei vielen Kindern ist das nicht möglich. Manche Inklusionskinder treten den Lehrer, kratzen andere Kinder blutig und überschreiten permanent Grenzen. Wenn man als Lehrerin Glück hat, bekommt dieses Kind einen Inklusionshelfer, der hilft ihm bei den Aufgaben und passt darauf auf, dass das Kind sich nicht aus dem Fenster stürzt oder auf dem Schulhof nicht verprügelt wird, aber du als Klassenlehrerin musst den Unterricht vorbereiten und auf die speziellen Lernbedürfnisse dieses Kindes eingehen. In unserer Schule gibt es zwei Förderlehrer, die nehmen die Kinder ein oder zwei Mal in der Woche aus dem Unterricht raus und machen mit ihm gesondert Aufgaben. Das ist ein Tropfen auf den heißen Stein. In der restlichen Zeit ist man wieder auf sich alleine gestellt und muss permanent auf die Kinder eingehen, damit sie den Vormittag überstehen.

          Inklusionskind bedeutet mehr Arbeit

          Manche Eltern wollen auch nicht wahr haben, dass mit ihrem Kind etwas nicht stimmt. Wir haben an der Schule zum Beispiel ein sehr schwieriges Kind, das gleich nach der Einschulung auffällig wurde, die Eltern aber sagten, im Kindergarten sei davon nichts zu merken gewesen. Das Kind macht keinen Schritt selbst, kann nicht alleine sein Mäppchen auspacken, die Frühstücksdose aus dem Ranzen holen, es vergisst zwischendurch, wo die Toilette ist. Das Kind ist faktisch nicht beschulbar, aber du darfst es in den ersten beiden Schuljahren nicht offiziell überprüfen lassen.

          Heute ist dieses Kind im vierten Schuljahr und muss auf dem Würfel immer noch die einzelnen Augen nachzählen, während schon Kindergartenkinder die Zahlen eines Würfel als Gesamtbild erkennen können. Mittlerweile hat das Kind den Inklusionsstatus. Aber das war ein Kampf. Ich kann Lehrer verstehen, die in so einem Fall sagen: Bevor ich mir den ganzen Papierkrieg antue, Förderpläne schreibe, dauernd runde Tische mit Psychologen und Förderausschüssen habe, lasse ich das Kind einfach mitlaufen und Mandalas ausmalen, bis es sitzen bleibt. Das ist total ungerecht, aber ich kann es verstehen.

          Ein Inklusionskind bedeutet einen Haufen mehr an Arbeit. Du koordinierst dauernd mit dem Inklusionshelfer, du koordinierst mit den Nachmittagseinrichtungen, mit dem Hort, mit dem Sportverein, je nach deinem Engagement, du hast immer wieder runde Tische mit Förderlehrern und triffst dauernd die Eltern.

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