Pionierin: Von Wrangell erhielt den Lehrstuhl für Pflanzenernährung an der Universität Hohenheim. Bild: Picture Alliance
Im Krisenjahr 1923 : Wie eine Chemikerin zur ersten deutschen Professorin wurde
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Gegen Widerstände und gegen den Willen vieler männlicher Kollegen: Chemikerin und Botanikerin Margarete Baroness von Wrangell wurde 1923 die erste ordentliche Professorin in Deutschland.
Vor 100 Jahren gab es noch keine Programme zur Förderung von Frauen in der Wissenschaft. Sie schaffte es dennoch: Gegen viele Widerstände wurde die deutsch-baltische Chemikerin und Botanikerin Margarete Baroness von Wrangell die erste ordentliche Professorin in Deutschland. Die Zulassung von Frauen zum Universitätsstudium lag da noch kein Vierteljahrhundert zurück: Im Jahr 1900 ließ das Großherzogtum Baden als erstes Land die Immatrikulation von Studentinnen zu. Bayern folgte, und seit 1904 konnten Frauen auch an den württembergischen Universitäten studieren. Margarete von Wrangell schrieb sich gleich 1904 an der Eberhard-Karls-Universität in Tübingen ein und schloss das Studium mit einer Doktorarbeit im Fach Chemie mit „summa cum laude“ ab. Sie wurde dann eine der ersten deutschen Lehrstuhlassistentinnen und 1923 – gegen den Willen vieler männlicher Kollegen – ordentliche Professorin an der damaligen Landwirtschaftlichen Akademie Hohenheim und Leiterin des Instituts für Pflanzenernährung.
Im Senat der Hochschule war über von Wrangells Berufung kontrovers diskutiert worden: Der Geologe Felix Plieninger fragte in der Senatssitzung, ob eine Frau überhaupt in der Lage sei, ein Institut mit männlichem Personal zu leiten. Mit dem Personalvorschlag sei der Lehrerkonvent in eine Zwangslage versetzt worden, die „recht übel“ sei. Die Anfeindungen hörten auch nach der Berufung Margarete von Wrangells nicht auf, sie reichten bis zu Plagiatsvorwürfen. Somit stellt sich bis heute die Frage, warum gerade sie es schaffte, Professorin zu werden. Der Aufstieg von Wrangells ist erstaunlich: Sie trat als Adelige in die zutiefst bürgerliche Universitätswelt ein, sie war in Moskau und dem damaligen Reval aufgewachsen und stammte somit nicht einmal aus Württemberg. Zeitlebens scheute sie sich nicht, gängige Lehrmeinungen zu hinterfragen.
„Ich habe viele Kämpfe in meinem Berufe“, schrieb Margarete von Wrangell im Jahr 1923. „Ich bin der erste ordentliche weibliche Professor in Deutschland. Bin zudem durch einige wissenschaftliche Größen öffentlich anerkannt worden. Das hat mir die Feindschaft vieler eingetragen; aber mein Institut ist eine Schöpfung, die von dauerndem Wert und Nutzen bleiben wird.“
Sie verfügte über politisches Gespür
Die baden-württembergische Wissenschaftsministerin Petra Olschowski (Grüne) und Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) würdigten die Wissenschaftlerin am Montag mit einem Festakt im Festsaal der heutigen Universität Hohenheim. Die Heidelberger Sozialhistorikerin Katja Patzel-Mattern hielt den Festvortrag. Sie hat sich mit dem Lebensweg und den politischen Umständen der Berufung von Wrangells eingehend beschäftigt. Für ihren Erfolg gebe es persönliche und strukturelle Gründe: „Durch ihre Herkunft aus dem baltischen Adel verfügte sie über materielle Mittel etwa für Auslandsaufenthalte. Sie war mit der Wissenschaft vertraut, weil es in der Familie andere Wissenschaftler gab. Sie war außerdem durchsetzungsstark und gut darin, Netzwerke aufzubauen.“ Es kam noch etwas hinzu: Margarete von Wrangell verfügte über politisches Gespür.
Nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg war das politische Interesse in der noch jungen Weimarer Republik groß, Fragen der Ernährungssicherheit zu lösen. Deutschland war von Auslandsmärkten abgeschnitten. Hunger und Armut waren unmittelbare Folgen des Kriegs, Lebensmittel auch nach Kriegsende noch rationiert. 1923 war wegen der Hyperinflation das Krisenjahr der ersten deutschen Republik schlechthin. Von Wrangell verstand es, die Frage der Lebensmittelversorgung für sich zu nutzen. „Sie war gut darin, sich selbst zu verkaufen und zu vermitteln, welchen Wert ihre wissenschaftlichen Forschungen für die Gesellschaft hatten“, sagt Patzel-Mattern. Die Chemikerin forschte über künstliche Düngung. Es ging um die Frage, wie sich Pflanzenwachstum ohne Phosphat-Düngemittel, das Deutschland damals nicht importieren konnte, beschleunigen ließ. Ihre Methode, die im Boden vorhandenen Phosphate besser zu erschließen, ließ sich später allerdings nicht so einfach reproduzieren.
Der Anteil der Professorinnen an deutschen Universitäten liegt 100 Jahre nach von Wrangells Ernennung immer noch bei nur einem Viertel. „Es braucht solche Rollenvorbilder, Fördermaßnahmen und flexible Qualifikationspläne“, sagt Patzel-Mattern. „Weiter brauchen Frauen Netzwerke – und sie müssen deutlich machen, wohin sie mit ihrer Wissenschaft wollen.“