Neue Studie über Niederlande : Ein Viertel der Jüngeren hält den Holocaust für übertrieben
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Journalisten fotografieren das renovierte Anne-Frank-Haus-Museum in Amsterdam, Niederlande Bild: AP
Mehr als die Hälfte der Befragten wussten nicht, wie viele Juden ermordet wurden, ein Drittel konnte kein einziges Konzentrationslager benennen. Besonders bei jungen Menschen sind die Wissenslücken zum Holocaust gravierend.
Eine neue Studie der Jewish Claims Conference über das Wissen und die Wahrnehmung des Holocaust in den Niederlanden legt große Lücken offen. So wissen mehr als die Hälfte der Befragten nicht, dass sechs Millionen Juden ermordet wurden. Fast ein Drittel glaubt, dass es zwei Millionen oder weniger waren. Ebenfalls mehr als die Hälfte der Bevölkerung sieht keinen Bezug ihres Landes zum Holocaust, obwohl 70 Prozent der jüdischen Bevölkerung ermordet wurden.
Ein Drittel der Befragten konnte kein einziges Konzentrations- oder Vernichtungslager benennen. Lediglich einem Fünftel ist das Durchgangslager Westerbork bekannt, durch das Juden in andere Lager deportiert wurden. Die am Mittwoch, kurz vor dem Holocaust-Gedenktag, veröffentlichte Studie beruht auf einer repräsentativen Befragung von 2000 Personen im Dezember, die Fehlerquote beträgt 2 Prozent.
Wissenslücken besonders bei jungen Menschen groß
Besonders groß ist das Unwissen bei Menschen, die jünger als vierzig Jahre sind. Fast ein Viertel von ihnen hält die Zahl der getöteten Juden für übertrieben oder den Holocaust gar für erfunden. Das ist der höchste Anteil in dieser Altersgruppe, den die Jewish Claims Conference je gemessen hat. In vorigen Studien wurden Frankreich, Österreich, das Vereinigte Königreich, Kanada und die Vereinigten Staaten untersucht. Ein Drittel gibt an, jemanden zu kennen, der glaubt, dass es den Holocaust nicht gegeben habe.
Immerhin 90 Prozent hatten vor der Umfrage von Anne Frank gehört, die sich in Amsterdam vor den nationalsozialistischen Besatzern versteckte, doch nur 68 Prozent wussten, dass sie in einem Konzentrationslager ums Leben kam. 62 Prozent geben an, dass sie das Anne-Frank-Haus in Amsterdam noch nicht besichtigt hätten – es zieht Jahr für Jahr mehr als eine Million Besucher an.
Ein Fünftel aller Befragten hält die Aussage für richtig, dass es heute „viele Neo-Nazis“ in den Niederlanden gebe. 12 Prozent halten neonazistische Ansichten für akzeptabel, in der Gruppe unter vierzig Jahren sogar 22 Prozent. Zwei Drittel sagen, dass es Antisemitismus gebe oder er sogar „weit verbreitet“ sei. Ein Drittel lehnt es ab, dass sich die Niederlande dafür entschuldigen, dass die jüdische Bevölkerung während des Holocaust nicht genügend geschützt worden sei. Die Hälfte unterstützt diesen Schritt, den die Regierung vor drei Jahren tat.
„Rückgang an Wissen wird sichtbarer“
„Mit jeder Studie wird der Rückgang an Wissen und Bewusstsein über den Holocaust sichtbarer; zugleich zeigt sich ein Trend zu Holocaustleugnung und -verzerrung“, sagte Gideon Taylor, der Präsident der Claims Conference, die die Interessen von Hinterbliebenen und Überlebenden des Holocaust vertritt. „Um dem zu begegnen, müssen wir die Holocaust-Erziehung weltweit verstärkt in den Fokus unseres Schulunterrichts rücken.“
Diese Forderung scheint von einer Mehrheit der Befragten geteilt zu werden. Zwei Drittel aller Befragten und immerhin 57 Prozent der Unter-Vierzigjährigen sprechen sich dafür aus, dass die Behandlung des Holocaust in Schulen verpflichtend sein soll. Insgesamt 55 Prozent geben an, dass sie zuerst in der Schule von der systematischen Ermordung der Juden gehört hätten.
Obwohl die Studie es selbst nicht thematisiert, könnten die Ergebnisse zum Teil auch mit dem hohen Migrantenanteil zusammenhängen. Gemäß den jüngsten Angaben der niederländischen Statistikbehörde wurde 15 Prozent der Bevölkerung in einem anderen Land geboren, weitere zwölf Prozent haben mindestens einen ausländischen Elternteil. In beiden Fällen kommen die meisten aus einem nicht-europäischen Land. Besonders groß ist die Gruppe mit Bezügen zur Türkei und zu Marokko, wo ehedem Gastarbeiter angeworben wurden, sowie zur früheren Kolonie Surinam und zu Staaten in Asien.
Während in vielen Teilen der Welt der Holocaust nicht im Schulunterricht behandelt wird, kommt in der muslimischen Welt noch eine weit verbreitete Leugnung hinzu, die im Zusammenhang mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt steht. In Büchern, populären Medien und staatlicher Propaganda wird der Massenmord als Erfindung dargestellt, mit der Juden versuchten, die Welt zu erpressen. In einer Allensbach-Umfrage aus dem vorigen Jahr stimmten 54 Prozent der in Deutschland lebenden Muslime der Aussage zu, dass Juden ihren Status als Opfer des Völkermords zu ihrem eigenen Vorteil ausnutzten. In der Gesamtbevölkerung waren es 34 Prozent.