Wehrmachtskinder in Finnland : Nicht mit dir!
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Wenn man einen Atlas aufschlägt, erkennt man in Finnland mit etwas Phantasie eine füllige, einarmige Mädchenfigur, die „Suomi-neito“. Kemijärvi liegt etwa auf der Höhe ihres Herzens, bis zur Stirn sind es noch mal gut 500 Kilometer. Einen ihrer Arme, die Gegend um Petsamo, musste Finnland nach der Niederlage im Zweiten Weltkrieg an die Sowjetunion abtreten, es ist heute russisches Staatsgebiet. Der Rücken ist eine fast 1300 Kilometer lange Grenze zu Russland, eine gezackte Narbe, die nicht recht verheilen will. Alles Schweigen schaffte die Niederlage gegen die Russen nicht aus der Welt, sie nagt bis heute am finnischen Nationalgefühl - ebenso wie die Scham über die Zusammenarbeit mit den Deutschen. Denn anders als etwa in Norwegen, wo der Staat Wehrmachtskinder sogar als Arbeitersklaven nach Australien verkaufen wollte, waren die Deutschen in Finnland keine Besatzer, sondern lange Jahre Waffenbrüder im Kampf gegen den gemeinsamen Feind Russland.
Helli-Maija nimmt die Fernbedienung, drückt die Schwangere auf dem Bildschirm weg und erzählt doch lieber ihre eigene Geschichte. Wie sie sich nachts heimlich trafen, in den Wäldern oder im Quartier des Oberfeldwebels. Wie er sie mitnahm zu den geschlossenen Veranstaltungen im Offizierskasino, wo die Soldaten mit ihren finnischen Freundinnen Tango tanzten. Groß und schön sei er gewesen! Und so kultiviert, ein Opernfan. Er kümmerte sich, brachte Helli-Maija zum Zahnarzt, spendierte ihr Amalgamfüllungen. Es gab echten Kaffee bei ihm und nicht das fade Getreidegebräu von daheim. Er schenkte ihr Lederschuhe, ein schokoladenbraunes Kleid, Nylonstrümpfe. Und schließlich, mit dem Verlobungsring, auch einen großen Traum.
Doch der Traum bekommt schon im Spätsommer 1944 erste Risse. Joksch liegt wegen eines Infekts im Spital weiter südlich in Oulu. Eine Krankenschwester fädelt ein Treffen ein, damit das Paar in einem winzigen Zimmerchen ein paar Minuten ungestört sein kann. „Da standen wir. Haben geweint“, sagt Helli-Maija. Hochschwanger ist sie damals, und er erklärt, dass die Deutschen wohl bald aus Lappland abgezogen würden. Dass man auch ihn aus dem Krankenhaus holen wird.
Waffenbrüder im Zweiten Weltkrieg
Im September 1944 ist es so weit. Weil die Finnen eine deutsche Niederlage ahnen, unterzeichnen sie einen Sondervertrag mit den Russen. Von heute auf morgen steht alles unter neuen Vorzeichen: Militärische Freunde werden zu Feinden, persönliche Beziehungen stehen ebenso in Frage wie die Zukunftspläne der Menschen.
Was auch für Helli-Maijas Leben schicksalhaft ist, ist für Pentti Airio spannende Forschungsmaterie. Knapp 1000 Kilometer südlich, in Helsinki, ruhen in den engen Regalreihen der Bibliothek der finnischen Militäruniversität die wissenschaftlichen Zeugnisse aus der Kriegszeit. Pentti Airio wuchtet die Ausgaben des „Lappland-Kuriers“ von 1941 bis 44 auf den Tisch - die damalige „Zeitung für deutsche Soldaten in Nordfinnland“. Der Historiker beschäftigt sich seit Jahren mit der Beziehung von Deutschen und Finnen im Zweiten Weltkrieg. „Sie waren Waffenbrüder, nicht Alliierte. Das ist wie bei Liebesbeziehungen“, sagt er.