Jung und Schönheitsideal : Bin ich zu dick?
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Die Auslotung des eigenen Körpers nach möglichen Mängeln beginnt bei Mädchen immer früher. Bild: Getty
Kinder fühlen sich schön, so wie sie sind. Aber das hält meistens nicht an, wenn sie älter werden. Bananen-Falte und Orangenhaut werden zum Problem. Welchen Anteil am Unwohlsein haben Mütter?
Die niedliche Nachbarstochter findet sich bildhübsch, hüpft dem Morgen im Tupfenrock entgegen. Ihr Wuschelhaar bändigt eine dicke Schleife. Das Mädchen, nennen wir es Lara, strebt zur Eisdiele, angelockt von Karamellschmelz und Sahneeis und verleibt sich Frühlingsgefühle ein. „Smeckt guuut!“, lispelt sie durch ihre Zahnlücke und klopft sich aufs Bäuchlein. Da war Lara fünf Jahre alt. Aktuell ist diese Szene undenkbar.
Heute zählt Lara elf Jahre und Kalorien. Denn sie findet sich laut einer Studie der Uni Braunschweig wie jedes zweite gleichaltrige Mädchen in Deutschland zu dick. Schwingende Sommerröcke verweigert Lara mit kritischen Blick in den Spiegel: In ihrer Klasse gelten Tellerröcke nicht als Figurschmeichler. „Die machen breite Hüften“, erklärt das Mädchen mit den Fohlenbeinen ernst und zupft ihre Tunika zurecht. Die Bluse steht ihr gut, macht sie aber zur Miniaturausgabe ihrer Mutter. Laras kunterbunte Gute-Laune-Outfits sind passé. Den kleinen Menschen, der sich von Kopf bis Fuß schön findet, den gibt es nicht mehr. Das Herummäkeln hat Oberhand gewonnen.
Die Mängelliste wächst
Das Ende der Unbefangenheit ist in Laras Mädchenleben eingeläutet, so wie seit Jahren bei ihrer älteren Schwester. Der Teenager hat viel an sich auszusetzen: Der linke Nasenflügel sei zu ausladend, die Augen seien bis auf die banale Farbe okay, die Wimpern zu dünn, der Mund gehe in Ordnung, bis auf die Unterlippe. Undsoweiterundsoweiter. Während die Mängelliste wächst, schwindet das Selbstbewusstsein mit jedem neuen Punkt. Wer sucht, der findet. Die selbstkritische Fehlersuche der Älteren ignoriert komplett den attraktiven Gesamteindruck. Manche finden große, andere kleine Busen schön, manche mögen Glatzen, andere lange Mähnen. Alle vereint das Geheimnis attraktiver Ausstrahlung: Die hat viel mit dem Bild zu tun, das ein Mensch von sich selbst hat, unabhängig von Maßen und Wimpernwuchsdichte.
Diese Erkenntnis ist zu der 15-Jährigen nicht vorgedrungen. Sie vergleicht sich ständig mit geposteten Hochglanzfiguren, sieht Heidi Klums überschlanke Mädchen, die derzeit wieder bei „Germanys Next Topmodel“ auf dem Bildschirm ihren „Walk“ machen, klickt täglich auf BibisBeautyPalace auf Youtube, weiß was „Selfie Surgery“ ist und trägt ihr Taschengeld zum Friseur, um ihr Allerweltsdunkelblond aufzupeppen: Ohne Profi-Strähnchen wagt sich der verunsicherte Teenie nicht mal bis zur Biotonne. Die Mutter versteht die Welt ihrer Töchter nicht mehr und lädt auf ihrem Smartphone Fotos von früher hoch: Die Aufnahmen zeigen ein kulleräugiges Baby, rundlich, nicht speckig, später eine lustige Dreijährige im farbstarken Phantasieensemble. Die ältere Schwester probiert lachend Zopffrisur aus und strahlt in die Kamera. Die Kinder fühlen sich pudelwohl. Aber das war einmal. Jetzt misst sie ihre Oberarme an den durchtrainierten Exemplaren von Michelle Obama. „Preisringerarme, Winkefleisch und so ein Geschwabbel wie bei Oma“ will der Teenager nie akzeptieren. Dass davon keine Rede sein kann, hat das sensible Mädchen nicht auf dem Schirm, wohl aber die Drohkulisse, welche möglichen Problemzonen sich in ihrem Frauenleben noch auftun können.
Lackierte Nägel mit Fünf
Wann die Leichtigkeit ihres entspannten Körpergefühls gekippt ist, vermag ihre Mutter nicht genau zu sagen. Sie selbst ist eher der sportliche, naturbelassene Typ. Um so befremdlicher fand sie es, als plötzlich das Nägellackieren schon in der Kindergartengruppe „in“ war. Zähneknirschend kaufte sie rosafarbenen Nagellack. „Zum Glück war die Kleckserei schnell uninteressant. Warum braucht eine Fünfjährige lackierte Nägel? Warum gibt es gepolsterte Bikinitops für Achtjährige? Mir bereitet das Unbehagen, das sieht nach Lolita aus...“
Am schlimmsten findet sie die Diskussionen um die Figur. Zum Glück haben ihre Kinder Normalgewicht, keine Allergien und neurotischen Essstörungen. „Manchmal hauen sie bei der Brotzeit richtig rein, manchmal haben sie wenig Hunger. Hauptsache, es schmeckt.“ Anders als manche der Freundinnen. „Da sind richtige Kontrollfreaks drunter, Pferdemädchen mit Reiterhosenphobie. Eine hat mich tatsächlich gefragt, welchen Fettgehalt der Schinken hat und sich eine weitere Semmel verkniffen.“ Die Gastgeberin versteht die Welt der Zehnjährigen nicht mehr.