Effizienz in Kuppelshows : Die Qual der Genitalwahl
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Dating, aber rückwärts: Bei „Naked Attraction“ geht’s direkt in die Hose. Bild: obs/RTL2
Bei der Kuppelshow „Naked Attraction“ lernt man sich von unten nach oben kennen. Das ist höchst effizient – und liegt im Trend: Zeit hat beim TV-Dating niemand mehr zu verlieren.
Wer hätte gedacht, dass wir „Adam sucht Eva“ mal richtig romantisch finden würden. Ein Haufen Nackter umzingelt von Kameras auf einer pazifischen Insel, die mehrere Tage Zeit haben, einander kennenzulernen – es hätte schlimmer kommen können. Und es kam schlimmer, nämlich am Montagabend auf RTL2. Da stehen sechs farbig beleuchtete Glaskästen, in denen bindungswillige Singles ihre Genitalien präsentieren, um am Ende für ein Date ausgewählt zu werden. Der oder die Auswählende geht unterdessen von Exponat zu Exponat und kommentiert freudig die herangezoomten Intimbereiche. Da entspinnen sich tiefschürfende Dialoge. „Was gefällt dir hier?“, fragt Moderatorin Milka Loff Fernandes etwa und erhält zur Antwort: „Der Penis halt.“
Man kann diese Sendung namens „Naked Attraction“ für den Untergang des Abendlandes halten und läge womöglich nicht völlig falsch. Aber vor allem ist sie der vorläufige Höhepunkt des Trends zu immer größerer Effizienz in Kuppelshows. Der Penis gefällt, die Brüste sind akzeptabel – da hat man doch schon mal ein paar Dinge geklärt, die sonst später zu Enttäuschungen führen könnten.
Nach einem ganz ähnlichen Verfahren läuft seit mehr als einem Jahr „Kiss Bang Love“ auf Pro Sieben: Ein Single und zwölf potentielle Partner bekommen die Augen verbunden. Anschließend knutscht der Auswählende sich einmal quer durchs Angebot, bewertet die Performance auf einem Fragebogen und entscheidet, wen er näher kennenlernen möchte. Das ist etwa so geheimnisvoll wie eine Zugreservierung bei der Deutschen Bahn, aber eben auch ebenso zielführend: Falls es was wird mit den beiden, sind böse Überraschungen an der Zungenfront ausgeschlossen. Der Projektbereich „Bang“ zählt übrigens nicht mehr zur Show, aber vielleicht wollten die Verantwortlichen sich mit dem Titel die Möglichkeit zur konsequenten Steigerung offenhalten.
Nur Liebe lockt noch mehr Menschen vor den Fernseher als Nacktheit
Für eine Knutscherei mit Wildfremden ist eine gewisse Vorarbeit durch ein Fernsehteam tatsächlich wichtig; diese Situation wäre im echten Leben kaum nachzustellen. Aber um sich jemanden allein aufgrund körperlicher Merkmale auszusuchen, muss man nicht unbedingt in eine Fernsehshow gehen. Das Internet bietet Portale für alle Arten des Kennenlernens, ob von oben nach unten oder von unten nach oben oder eben nur unten. Aber gerade da liegt der Unterschied zum Fernsehen: Auf Casual-Dating-Sites redet niemand von der großen Liebe. Im Fernsehen geht es nicht ohne diese Fallhöhe, da muss von Liebe gesprochen werden, unentwegt. Nur Liebe lockt noch mehr Menschen vor den Fernseher als Nacktheit.
Deshalb suchte Kandidatin Nancy bei „Naked Attraction“ natürlich nicht einfach nur ein schmuckes Genital, sondern jemanden, der ihr Kind aus einer früheren Beziehung akzeptieren und auch mögen würde. Allerdings wurde ihr die Asymmetrie des Konzepts zum Verhängnis. Menschen lassen sich nun mal nicht buchen wie ein Zugticket. Am Ende hatte Nancy ein Date mit einem durchtrainierten Automechaniker, der ihr sofort eröffnete, wegen ihres Kindes komme sie nicht für ihn in Frage, und auch äußerlich habe er sich etwas anderes vorgestellt. Anschließend ließ er sie allein an der Bar zurück – und die Zuschauer mit der Frage, ob ein netterer Kerl mit einem weniger ebenmäßigen Gemächt nicht vielleicht doch die bessere Wahl gewesen wäre.
Wer wird sich denn gleich wieder scheiden lassen!
Immerhin hatten sich die beiden beim Date noch zu nichts verpflichtet. Denn eine ebenso effiziente, wenn auch ganz anders gelagerte Kuppelshow auf Sat.1 verfährt seit 2014 genau nach diesem Prinzip: „Hochzeit auf den ersten Blick“, beim ersten Date wird geheiratet, und dann mal gucken, wer wird sich denn gleich wieder scheiden lassen! Die Kandidaten werden einander allerdings nicht zugelost, sondern von drei Psychologen durch die Analysemangel gedreht und dann einander zugewiesen. In der ersten Staffel half außerdem noch ein „Wohnpsychologe“, der die Kandidaten zu Hause besuchte und in bester Loriot-Manier Dinge sagte wie: „Sie haben hier viel frisches Apfelgrün.“ Dann sollten die Kandidaten aus einer Stoffpalette Farben auswählen, die ihnen gefielen, woraus der Fachmann irgendwelche Rückschlüsse zog. Da kommt einem das nackte Genital als Kriterium für die Partnerwahl doch gleich weniger abwegig vor.
Nur zwei von zwölf Knall auf Fall verheirateten Paaren sind übrigens noch zusammen. Effizient ist der Ansatz dennoch, schließlich werden hier die Partnersuche und die Flirt-Phase gleich ganz übersprungen. Zeitsparender geht es nicht. Allerdings hätte der ein oder andere Kandidat sich vielleicht doch mehr Auswahl gewünscht – so wie bei „Take Me Out“ auf RTL. Dort müssen bindungswillige Herren seit 2013 vor dreißig Frauen antreten und sich vorstellen. Sobald eine Dame das Interesse verliert, haut sie auf den Buzzer und schaut nur noch zu. Sofern am Ende mehrere Frauen übrig bleiben, darf der Mann sich eine zum Date aussuchen. Das geht ratzfatz und gibt beiden Seiten ein bisschen Entscheidungsfreiheit, hält sich aber nicht mit Tauben auf Dächern auf.
Das wahre Kunststück in Zeiten der effizienten Kuppelshows besteht freilich darin, die richtige für sich selbst zu erkennen. Kandidat Rob gelang das hervorragend: Bei „Take Me Out“ hätten die meisten Frauen spätestens abgewinkt, als er erklärte, er spiele in einer Metallica-Tribute-Band und habe sechs Nacktkatzen daheim. Bei „Naked Attraction“ hingegen konnte er selbst unter sechs Nacktkatzen wählen. „Auch nicht zu zart gebaut im Genitalbereich“, lobte er eine davon. Nie den Blick fürs Wesentliche verlieren: Das ist es, was wir von Kuppelshows lernen können.