Spenden durch Virtual Reality : In den Schuhen von Flüchtlingen
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Ein Screenshot aus dem Virtual Reality-Film „Clouds Over Sidra“: In dem Film begleitet man syrische Kinder bei ihrem Alltag im Flüchtlingslager. Bild: Youtube/Within
Egal ob die Vereinten Nationen, Amnesty International oder Ärzte ohne Grenzen: Immer mehr Hilfsorganisationen entdecken das Potential von Virtual Reality und verdienen mit ihren Kurzfilmen viel Spendengeld. Alles für den guten Zweck – oder ist das schon Manipulation?
Etwa 3.100 Kilometer Luftlinie trennen Deutschland von Jordanien. Mit dem Flugzeug braucht man für die Strecke knapp vier Stunden. Setzt man sich eine Virtual Reality-Brille auf, dauert es nur wenige Sekunden, bis man sich in Zaatari wiederfindet, einem Flüchtlingslager in Jordanien. Fast 80.000 Syrier leben dort, die Hälfte davon Kinder. Sie gehen zur Schule, in ihrer Freizeit spielen sie Fußball.
Das tun sie auch im achtminütigen Dokumentationsfilms „Clouds Over Sidra“, den die Vereinten Nationen 2015 in Kooperation mit der Produktionsfirma „vrse.works“ herausbrachten. Das Unternehmen ist bekannt dafür, Filme in Virtual Reality zu produzieren. „Clouds Over Sidra“ war der bislang größte Erfolg.
Mitten im Geschehen
Der Film wurde in 3-D und mit einer 360-Grad-Kamera gefilmt. Das ermöglicht dem Zuschauer, den Kopf in alle Richtungen zu drehen und mitten im Geschehen zu stehen. Im Film gibt Sidra, ein zwölfjähriges Mädchen, den Zuschauern einen Einblick in ihren Alltag im Flüchtlingslager.
Das Projekt hat sich als erfolgreiches Spendentool entpuppt. Auf einer Spendenkonferenz, auf der der Film gezeigt wurde, sammelten die Veranstalter 3,8 Milliarden Dollar ein – 70 Prozent mehr als erwartet.
„Clouds Over Sidra“ ist nur einer von vielen Kurzfilmen in Virtual Reality, die humanitäre Katastrophen wie die Flüchtlingskrise behandeln. Ein weiterer Film ist „The Source“, in dem der Zuschauer das 13-jährige äthiopische Mädchen Selam und ihre Familie bei ihrer täglichen Suche nach Trinkwasser begleitet.
Auch dieser Film führte auf einer Spendenveranstaltung zu deutlich mehr Spenden als erwartet. Beispielsweise hatte ein Gast bereits im Vorfeld angekündigt, 60.000 Dollar spenden zu wollen. Von der Filmvorführung zeigte er sich so ergriffen, dass er stattdessen 400.000 Dollar spendete.
Auch andere Hilfsorganisationen setzen bei ihren Kampagnen bereits auf Virtual Reality: Amnesty International zeigte mit dem Kurzfilm „Fear of the Sky“ hautnah die Zerstörungen in der syrischen Stadt Aleppo. Und auf einer Wanderausstellung der Menschenrechtsorganisation „Ärzte ohne Grenzen“ erlebten Besucher im vergangenen Jahr mithilfe von Virtual Reality eine Fahrt im Flüchtlingsboot.
Betty Mohler vom Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik in Tübingen erforscht den Einfluss von Virtual Reality auf die menschliche Wahrnehmung und Handlung. Sie glaubt, dass Virtual Reality „als eine Form für Werbung, Journalismus oder Kampagnen sehr stark ist, weil Menschen die Welt anders erleben als beim Lesen oder Hören von Nachrichten. Man erinnert sich an Gesehenes aus einer anderen Perspektive.“
Virtual Reality kann auch missbraucht werden
Die meisten Menschen wüssten zwar von der Flüchtlingskrise, aber, so Betty Mohler, „haben keinen Sinn oder sehr wenig Ahnung davon, wie es für die Flüchtlinge ist. Virtual Reality ermöglicht es, jemandem visuell, aber auch körperlich zu zeigen, wie es sein könnte. Man fühlt, wie es ist, in den Schuhen dieser Person zu stecken.“
Mehrere Studien belegen, dass Virtual Reality nicht nur die Wahrnehmung eines Menschen, sondern auch dessen Handlungen beeinflussen kann. Forscher der University of London entdeckten, dass Menschen, die in Virtual Reality-Experimenten einer Minderheit angehören, im Alltag toleranter werden. Und eine Studie der Stanford University zeigte, dass Leute, die in Virtual Reality die Rolle eines Superhelden spielen, dauerhaft mutiger und sozialer werden.
Dass Virtual Reality die Handlungen eines Menschen beeinflussen kann, bedeutet auch, dass es missbraucht werden kann. Im ersten Verhaltenskodex für die ethische Nutzung von Virtual Reality warnen die Ethiker Michael Madary und Thomas Metzinger der Johannes Gutenberg Universität in Mainz, dass Virtual Reality anders als andere Medienformen eine Situation schaffen kann, in der die gesamte Umgebung des Benutzers von den Produzenten der virtuellen Welt bestimmt wird. Virtual Reality habe das Potential sowohl zur mentalen als auch zur Verhaltensmanipulation – insbesondere, wenn kommerzielle, politische, religiöse oder staatliche Interessen hinter der Schaffung und Aufrechterhaltung der virtuellen Welten stehen.
In Fällen, in denen die Manipulation einem guten Zweck dient, hat Michael Madary nicht so viele ethische Bedenken, sagt er. „Dennoch kann die Autonomie des Benutzers gefährdet sein.“ Wichtig sei, dass die Organisationen ihre Absichten offen legen. „Eine vollständige Transparenz würde es potentiellen Spendern ermöglichen, selbst zu entscheiden, ob sie die Erfahrung mit VR machen möchten, die eine höhere Wahrscheinlichkeit für eine Spende zur Folge hätte.“