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Generationenbeziehungen : Ein bisschen erwachsen

Dass junge Leute heute weniger gegen ihre Eltern aufbegehren, muss man nicht schlimm finden. Entwicklungspsychologen sagen aber, dass es ein Minimum an Rebellion braucht, um erwachsen zu werden. Ich rufe deshalb eine Psychologin an: Inge Seiffge-Krenke, Professorin an der Universität Mainz. Sie ist im Gegensatz zu Karsten Hank davon überzeugt, dass die Beziehungen zwischen erwachsenen Kindern und ihren Eltern heute definitiv enger sind als früher – und zwar unabhängig von ihrem Beruf, Bildungsgrad und Einkommen oder dem der Eltern.

Ich habe also eine gesamtgesellschaftliche Entwicklung erkannt und nicht nur ein Phänomen innerhalb meiner Filterblase aus Städtern und Akademikern!

Vertrauensverhältnis – oder Abhängigkeit?

Meine Freude über diese Erkenntnis dämpft die Psychologin in leicht strengem Ton: Die engen Beziehungen zwischen erwachsenen Kindern und ihren Eltern seien nicht nur positiv. Sie hat eine Studie mit 3000 Leuten zwischen 20 und 30 gemacht. Das Ergebnis: Viele sind sowohl emotional als auch finanziell noch stark von den Eltern abhängig. „Abhängigkeit“ – das klingt in der Tat schlechter als „enge Beziehung“ oder „Vertrauensverhältnis“.

Das liegt auch an den Zeiten, in denen wir leben, erläutert sie: Die Arbeitsverhältnisse sind oft unsicher, viele junge Leute qualifizieren sich deshalb lange, um sich abzusichern, verschieben das Kinderkriegen immer weiter nach hinten. Sie können einerseits viel ausprobieren, andererseits fällt es ihnen schwer, sich festzulegen, und die Umstände machen es ihnen schwer. Ihre Partnerschaften sind oft wechselnd und instabil, viele führen Fernbeziehungen mit ungewisser Zukunft. Wenn eine Beziehung zu Bruch geht oder das Geld ausgeht, kehren die „Boomerang Kids“, wie amerikanische Soziologen sie nennen, auch schon mal ins Elternhaus zurück. Und finden das nicht mal unbedingt schlimm.

„Eltern sind heute länger Eltern“, bringt Seiffge-Krenke es auf den Punkt. Sind Kinder damit auch länger Kinder? Tut sich meine Generation mit dem Erwachsenwerden schwer? Die Psychologin findet: Ja. Denn zum Erwachsenwerden gehöre ein gewisses Maß an Selbständigkeit einfach dazu. In meinem Alter und dem meiner Freundinnen und Bekannten sollten bei wichtigen Entscheidungen, einem neuen Job oder einer Autopanne Partner und Freunde eigentlich die ersten Ansprechpartner sein und nicht die Eltern. Für sie und andere Forscher ist das hinausgezögerte Erwachsenwerden die Kehrseite der guten Beziehungen zwischen den Generationen.

All dem liegt eine positive gesellschaftliche Entwicklung zugrunde

Doch sie kann diesen auch Gutes abgewinnen: Die Beziehungsfähigkeit habe sich geändert, früher wurden Babys nach der Geburt erst mal mit anderen Säuglingen in einem Raum untergebracht, manchmal tagelang. Sie weinten, vermissten die Mutter. Heute undenkbar. Wenn die Beziehungen zwischen jugendlichen und erwachsenen Kindern und ihren Eltern heute teils etwas zu eng sind, es Helikoptereltern und anhängliche Kinder gibt, dann liege dem eine grundsätzlich positive gesellschaftliche Entwicklung zugrunde.

Zeigt sich im vertrauensvollen Verhältnis junger Menschen zwischen 18 und Mitte 30 also eine gewisse Schwierigkeit, erwachsen zu werden? Vermutlich ja. Und werden wir alle immer später erwachsen? Wohl auch. Wir werden aber auch älter und arbeiten länger – da fallen ein paar mehr Jugendjahre am Ende vielleicht gar nicht so ins Gewicht. Und irgendwann haben auch die meisten jungen Leute ein festes Einkommen und eine eigene Familie. Emotionale und finanzielle Unterstützung der Eltern brauchen sie dann nicht mehr so sehr. An der guten Beziehung ändere sich damit aber nichts, sagt die Psychologin: Die Eltern seien dann oft als Babysitter für die Enkel gefragt.

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