Twitter : Hundertvierzig Zeichen reichen
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Mehr als heiße Luft: Twitter Bild: AFP
Mit Geplapper verstopfen unzählige Hänschen Müllers die sozialen Netzwerke. Dass es anders geht, zeigen einige Twitterer: Wir stellen vier von ihnen vor. In aller Kürze, versteht sich.
Hinter dem niedlichen Pseudonym @ohaimareiki könnte eine schüchterne Zehntklässlerin stecken. Könnte, denn tatsächlich ist @ohaimareiki eine Fachfrau für Spöttelei und Selbstkritik. Die Psychologiestudentin aus Frankfurt am Main liefert feinen bis groben Humor und kluge Beobachtungen über weniger kluge Mitmenschen. Falls das Kerle sind, die sie in der Bahn anstarren, wird sie auch mal laut. @ohaimareiki scheint eine begabte und hübsche Frau zu sein; also fragt man sich, weshalb sie dauernd nörgelt. Doch das ist möglicherweise ihr Erfolgsrezept. Denn gerade so entstehen beklatschenswert bissige Kommentare, die mehr als 15 000 Follower lesen.
eigentlich wollte kafka was über meine auseinandersetzungen mit dem prüfungsamt schreiben, das war ihm dann aber zu deprimierend.
— m. (@ohaimareiki) 6. November 2012
dachte gerade ich sei traurig, aber dann stellte sich im hr eine mit "ich bin die amtierende zweitplatzierte miss oberhessen-west" vor.
— m. (@ohaimareiki) 6. Januar 2013
wenn nach dem beziehen des bettes das iphone weg ist und man stundenlang "nee, so doof bin ich ja nicht" denkt. bis man sich drauflegt.
— m. (@ohaimareiki) 21. Dezember 2012
mann mit bildzeitung aufm schoß schaut auf meinen kindle und sagt zu seiner frau "die jugend verdummt, weil sie keine bücher mehr liest".
— m. (@ohaimareiki) 19. Dezember 2012
Schwarzer Humor als Lebensmodell? @Schlachtzeile präsentiert sich als begabter Realitätsverdreher mit über 13 000 Followern. Woher der berufstätige Familienvater die Zeit nimmt, jeden Tag urkomische Tweets rauszuhauen, wissen wir nicht. @Schlachtzeiles Hang zu Zoten ist offenkundig, dennoch scheint der Mann gebildet zu sein und textet in einwandfreiem Deutsch. Das Drama seines Lebens sind Begegnungen mit der Polizei in Verkehrskontrollen. @Schlachtzeile macht es wie Woody Allen und verarbeitet den Ärger darüber auf ironische Art. Seitenhiebe des Hamburgers bekommt alles und jeder ab - gehäuft jedoch seine Kinder und seine Frau, die ihn irgendwann vor die Wahl stellen könnte: Löschung des Twitter-Profils oder Scheidung.
Den Hund wegen des Geböllers im Keller bei lautem Fernseher positioniert. Er wollte trotzdem raus. Ich hatte aus Versehen RTL angestellt.
— Schlachtzeile (@Schlachtzeile) 31. Dezember 2012
"Du machst keine Komplimente mehr, seit wir verheiratet sind!""Du bist halt jetzt Bestandskunde, kein Neukunde!"Wie die Telekom. Kann ich.
— Schlachtzeile (@Schlachtzeile) 3. Januar 2013
Hätte mir die Bedienung ja auch sagen können, dass hier der Begriff "Tagesgericht" lediglich die Wartezeit aufs Essen beschreibt...
— Schlachtzeile (@Schlachtzeile) 7. Januar 2013
"Polizeikontrolle! Haben Sie getrunken?""Na, klar!""Dann machen wir einen Test!""Geht nicht!""Wieso?""Prüfungsangst!""SO, AUSSTEIGEN!"
— Schlachtzeile (@Schlachtzeile) 27. Dezember 2012
@farbeaufschwarz malt Tweets, die das Leben umarmen. Auf die Leinwand kommen meist gedämpfte Töne, denn wenn @farbeaufschwarz twittert, ist die Melancholie nicht weit. Oder wie sie selbst es ausdrückt: „Mein Alltag ist grau und sammelt gern bunte Momente.“ Die bringt sie mit feinem Pinselstrich zum Schimmern und findet ungewöhnliche Worte für Gewöhnliches. Die in sozialen Netzwerken übliche Selbstinszenierung bleibt dabei auf Minimalniveau. Warmherzig und abwechslungsreich textet @farbeaufschwarz über ihr Kind, ihre Mutter, die Katze und das Liebesleben - alles Gründe, weshalb manch weibliches Wesen (un)glücklich ist und Endlos-Telefonate führt. @farbeaufschwarz reichen hierfür hundertvierzig Zeichen.
Der große Moment wußte nichts von seiner Bedeutung und ging lediglich als kurzer Augenblick wieder nach Hause.
— Konsorte. (@farbeaufschwarz) 14. Januar 2013
Glück ist Sonne. Im ersten Moment freut man sich über das Strahlen und im zweiten sieht man, wie verstaubt es um einen ist.
— Konsorte. (@farbeaufschwarz) 11. November 2012
Mutter so: Warte bloß nicht so lange, bis die Grübchen zu Falten werden.Aufbauen, kann sie.
— Konsorte. (@farbeaufschwarz) 31. Dezember 2012
Beziehungsstatus: Ich hab keine Rollos im Schlafzimmer.
— Konsorte. (@farbeaufschwarz) 11. November 2012
„Ich muss aufhören, weniger zu trinken“, schreibt @jazcblu. Andere ähnliche Bemerkungen und ein Foto ihres Weinvorrats belegen, dass sie dem Alkohol durchaus zugeneigt ist. Glücklicherweise mindert das den Scharfsinn ihrer Tweets keineswegs. @jazcblu präsentiert sich als Expertin im rhetorischen Nahkampf, die ihre Künste gerne anwendet. Aufs Kreuz legt sie Arbeitskollegen, ungeschickte Zeitgenossen und absolut jeden, der ihr nicht passt. Noch ungnädiger als mit anderen ist sie mit sich selbst. Erbauliches liest man von der sich-Schlechtfühl-Spezialistin bloß selten. Bleiben zwei Fragen: Wie ernstgemeint ist das alles? Hoffentlich nur medium. Und warum mögen zahlreiche Follower diese Sauertöpfigkeit? Vielleicht, weil sie gerne so schlagfertig wären wie @jazcblu.
"Weißt du, eine Beziehung ist mehr als Sex, Spaß, Trinken und Rumalbern.""Ja. Gott sei Dank haben wir keine."
— tidelipom (@jazcblu) 13. Januar 2013
Neuer Kunde Klaus Rommel bietet mir das Du an. Ich sag natürlich bei erstbester Gelegenheit Erwin zu ihm.Urlaub. Dringend.
— tidelipom (@jazcblu) 20. Dezember 2012
Nichts, was es sich zu haben lohnt, fällt einem in den Schoß.Außer Nutellabrötchen.Auf weiße Hose.
— tidelipom (@jazcblu) 8. November 2012
Dates,die so gut laufen, dass du dir wünscht, der Abend wäre nie zu Ende. Dann lacht er und es klingt wie ne asthmatische Ziege.Game Over.
— tidelipom (@jazcblu) 21. Oktober 2012
Millionen zwitschern
Twitter wurde 2006 in San Francisco gegründet. Inzwischen verwenden weltweit 200 Millionen Menschen die Kommunikations- und Nachrichtenplattform; durchschnittlich versenden die Nutzer 500 Millionen Tweets pro Tag. Laut einer Untersuchung des Internetexperten Thomas Pfeiffer twittern etwa 825 000 Nutzer auf Deutsch. Die tatsächliche Zahl der deutschsprachigen Nutzer hält Twitter geheim.