Omas Narbe in mir
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Liegt der Schlüssel in der Familiengeschichte? Traumata können über mehrere Generationen weitergegeben werden. (Symbolbild) Bild: picture alliance
Manche Menschen leiden an Ängsten, die sie sich einfach nicht erklären können. Der Schlüssel kann in solchen Fällen in der Familiengeschichte liegen: in einem Trauma, das frühere Generationen weitervererbt haben.
Als Hatice vor wenigen Jahren die Lebensgeschichte ihrer Großmutter erfährt, beginnt für sie alles einen Sinn zu ergeben. „Es ist so schwierig zu erklären“, sagt Hatice. „Aber da ist ein tiefgehendes Gefühl in mir, das ich nicht zuordnen kann, das schon immer dagewesen ist und mich einnimmt.“ Ein großer Teil dieses Gefühls ist Angst. Etwa vor Intimität: Keiner darf Hatice zu nahe kommen. Sie will Situationen unter Kontrolle haben, muss wissen, dass sie auf sich aufpassen kann. Um sich auch körperlich schützen zu können, trainiert sie im Fitnessstudio. Doch das, wovor sie sich schützen will, bleibt diffus. In ihren Träumen erscheint es ihr als eine Gestalt, die sie verfolgt und vor der sie nicht fliehen kann.
Mit Ende zwanzig hört Hatice dann zum ersten Mal von einem lange übergangenen Schicksal in ihrer Familie. Ihre Großmutter wurde als junge Frau von deren zukünftigem Mann entführt, so erzählte es Hatices Tante. Er habe versucht, sie zu vergewaltigen, damit sie gezwungen gewesen wäre, ihn zu heiraten. Sex sei damals ein Hochzeitsgrund gewesen in dem kurdischen Dorf in der Türkei, in dem die beiden gelebt hatten, sagt Hatice. Als ihre Großmutter sich gegen die Vergewaltigung gewehrt habe, habe der Mann sie mehrere Tage lang eingesperrt, bis sie schließlich nachgegeben habe. „Für mich bedeutet Beziehung Gefahr“, sagt Hatice. Die 31-Jährige ist überzeugt: Obwohl sie sie nie kennengelernt hat, arbeitet in ihr das Trauma ihrer Oma.
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