Kinder von Samenspendern : Wo bist du?
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In Frankfurt: Martin Schünke sucht seine Wurzeln in der Stadt, in der er gezeugt wurde. Bild: Wolfgang Eilmes
Vor 40 Jahren wurde Martin Schünke durch eine anonyme Samenspende in Frankfurt gezeugt. Erfahren hat er das erst viel später. Nun sucht er seinen leiblichen Vater. Oder ist es schon zu spät?
Es ist der Sommer vergangenen Jahres. Martin Schünke sitzt nach der Arbeit in seinem Wohnzimmer auf der Couch, den Laptop auf den Knien, und gibt die Worte „Vladimir Delavre„ in das Suchfenster von Google ein. 5200 Treffer. Die wichtigsten Informationen: Delavre ist 2007 gestorben, er war Gynäkologe, spirituell orientiert, und hat sich viel mit Fotografie beschäftigt. Schünke findet auch Fotos. Delavre war dunkelhaarig. Auf Bildern, auf denen er lächelt, sieht er aus wie ein Frosch.
Martin Schünke ist 40 Jahre alt. Er lebt seit einigen Jahren in Bulgarien, hat keine Familie, aber eine Freundin, und arbeitet als Teamleiter in einer Firma für pharmazeutische Forschung in Sofia. Geboren wurde er in Frankfurt, seine Mutter lebt immer noch dort. Schünke ist dunkelhaarig, er interessiert sich für Spiritualität und Fotografie. Und wenn er lächelt, sieht er aus wie ein Frosch.
Wenn der eigene Vater nicht der leibliche Vater ist
Von Vladimir Delavre hört er das erste Mal, als er 18 Jahre alt ist - wenn auch nur indirekt. Damals schreibt er seinem Vater, der die Familie verlassen hatte, als Schünke zwei Jahre alt war, einen Brief. „Ich wollte wissen: Wer ist dieser Mann? Lebt er noch? Und was hat er all die Jahre gemacht?“ Er hat einige Bilder von sich als Baby, auf denen der Vater ihn liebevoll an sich drückt. Daran hat er sich immer festgehalten. Nun, als Erwachsener, fehlt ihm der Vater. Er will seine Wurzeln finden, also auch die Leere füllen, die das Verschwinden des Vaters hinterlassen hat. Tatsächlich antwortet der Vater auf den Brief. Er schreibt: Schön, von dir zu hören, aber ich bin gar nicht dein Vater.
„Ich habe mich gefühlt, als täte sich unter mir der Boden auf“, sagt Schünke heute, 22 Jahre später. Der Mann, den er ganz selbstverständlich für seinen Vater gehalten hat, erklärt ihm, dass er durch eine Samenspende gezeugt worden sei. Er selbst sei zeugungsunfähig, weil er als Junge Mumps gehabt habe. Also habe er sich mit Schünkes Mutter für eine Samenspende entschieden. Nach der Geburt habe er sich als Vater in die Geburtsurkunde eintragen lassen. Das sei kein Problem gewesen, schließlich seien sie verheiratet gewesen. Die Ehe ging nach zwei Jahren in die Brüche. Und er habe keinen Kontakt mehr zu seinem Sohn gehalten, weil er eben nicht sein leiblicher Sohn sei.
Für Martin Schünke war das ein Schock. Er war "“unglaublich enttäuscht“ von seiner Mutter. „Alles, was ich mein Leben lang geglaubt hatte, stimmte nicht.“ Er habe sich orientierungslos gefühlt, mutterseelenallein, zum ersten Mal in seinem Leben. Er war so fassungslos, er fragte sich sogar, ob seine Gefühle angemessen waren. Übertrieb er? War das alles gar nicht so schlimm?
Seine Mutter, von ihm zur Rede gestellt, stammelte unter Tränen: „Warum hätte ich es dir sagen sollen? Du bist gesund, wir sind eine Familie. Ich wusste nicht, wie und wann.“ Martin Schünke ging auf Distanz zu ihr. Sogar ihrer Pfarrerin hatte sie erzählt, dass er ein Spenderkind sei – nicht aber ihm selbst. „Das war ein extrem beschissenes Gefühl, weil sie jemand anderem mehr vertraut hat als mir.“