Persönlichkeitsanalyse : Deine Sprache verrät dich
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Vorsintflutlicher Vorgänger von Psyware: Sharon Stone muss sich in „Basic Instinct“ 1992 einem Lügendetektor-Test unterziehen. Bild: Picture-Alliance
Wie fleißig ist dieser Bewerber? Lügt der Versicherte, der einen Schaden meldet? Eine Software hilft Firmen, solche Fragen zu beantworten. Genial – und unheimlich. Ein Selbstversuch.
Der Mann, der unser aller Leben entscheidend verändern könnte, trägt Schal, Sakko, Burlington-Socken mit rosafarbenem Muster und Jeans. Er wirkt wie ein harmloser Büromensch, und doch wird er mir gleich etwas zeigen, was mich erschüttern wird. Etwas, das zeigt, dass er unsere Zukunft zu einer Art brave new world machen könnte.
Wenn alles so läuft, wie er sich das vorstellt, wird seine Erfindung in wenigen Jahren viele Bereiche unseres Lebens geradezu sciencefictionhaft umgewandelt haben: zum Beispiel wie wir einen Job finden, wie wir einen Partner finden, was unsere Krankenkasse über uns erfährt und warum wir gekündigt werden.
Dirk Gratzel, so heißt der Mann, der mir in einem Konferenzraum in Aachen gegenübersitzt, hat Jura studiert und war danach erst Personalchef in einem großen Unternehmen und dann selbständiger Personalberater. Er ist 47, verheiratet, Vater von fünf Kindern und Chef der Firma Psyware, die aus der Sprache eines Menschen auf dessen Persönlichkeit schließt. Psyware ist zwei Jahre alt, ein Start-up, etwa 30 sogenannte High Potentials arbeiten dort - ITler, Psychologen, Linguisten und Leute, die sich mit künstlicher Intelligenz beschäftigen.
Objektiver als Psychologen
Was sie geschafft haben: anhand einer Sprachaufzeichnung von wenigen Minuten Dauer ein Persönlichkeitsprofil eines Menschen zu erstellen, das zu neunzig Prozent an das herankommt, was Psychologen mit verschiedenen Testverfahren in tagelanger Arbeit herausfinden, wenn sie diesen Menschen nach allen Regeln der Kunst auseinandernehmen.
Gratzel und sein Team müssen den Menschen, dessen Profil sie anfertigen, gar nicht kennen. Sie müssen ihn nur ein paar Minuten sprechen hören. Das ist bahnbrechend und bietet einen Haufen Möglichkeiten, die Funktionsweise unserer Gesellschaft auf den Kopf zu stellen.
Gratzel weiß das. Er ist sehr stolz auf das, was seine Firma tut. Er sagt Sätze wie: „Das ist das Faszinierendste, was uns jemals untergekommen ist.“ Er sagt: „Unsere Software liefert objektive Ergebnisse. Anders als ein Fragebogen, wo Sie selbst Auskunft über sich geben. Das Ergebnis ist objektiver als das, was Psychologen messen können, denn wie wir sprechen, das können wir kaum bewusst steuern, sobald wir länger als ein paar Minuten reden.“
15 Minuten Gespräch mit einer Maschine
Er sagt: „Wie die Maschine analysiert, unterscheidet sich fundamental von der Art, in der Sie jemanden betrachten. Das sind hochleistungsfähige MRTs auf Molekularebene, da brauchte man viele Jahre, wenn man das alles selbst herausfinden wollte.“
Dann steht er auf, geht in sein Büro und kehrt mit einer grünen Klarsichtfolie zurück an den Besprechungstisch. Darin stecken sechs DIN-A4-Seiten voller Balkendiagramme, Fünfecke und Tabellen.
Jetzt wird es spannend und gleichzeitig fast beängstigend. Ich hatte vor dem Treffen gefragt, ob es möglich sei, dass auch meine Sprache analysiert werde. Das war es. Man hatte mich gebeten, eine knappe Viertelstunde lang mit einer Computerstimme zu telefonieren und Fragen zu beantworten wie: „Beschreiben Sie einen typischen Sonntag“, „Beschreiben Sie ein besonders schönes Erlebnis, das Sie in den letzten Wochen hatten“ oder „Welche Sorgen hatten Sie in den vergangenen Wochen?“. Psyware hat meine 1531 gesprochenen Wörter aufgezeichnet und durch das Analyseprogramm mit dem Namen „Precire“ gejagt. Jetzt legt Gratzel das Ergebnis vor.