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Gedenkstunde im Bundestag : Auch im Nachkriegsdeutschland verfolgt

Hat sich spät geoutet und setzt sich seit Jahren für die Rechte queerer Menschen ein: Klaus Schirdewahn Bild: Marchivum/Kathrin Schwab

Klaus Schirdewahn ist einer der „175er“, der wegen seiner sexuellen Orientierung im Nachkriegsdeutschland verurteilt wurde. Am Freitag erinnert er in einer Rede im Bundestag an das Schicksal seiner vielen Leidensgenossen.

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          Fast 60 Jahre ist es her, dass Klaus Schirdewahn von der Polizei auf einer öffentlichen Toilette beim Sex erwischt wurde. Er war 17 Jahre alt und danach fürs Leben gezeichnet. Denn er hatte Sex mit einem Mann, der schon 21 und damit volljährig war. Dafür bekam der Ältere ein Jahr Gefängnis – wegen Verführung eines Minderjährigen. Schirdewahn wurde, nachdem er seine Tat gestanden hatte, nach Hause zu seinen Eltern gebracht, die ihn fortan nicht mehr als ihren Sohn ansahen.

          Peter-Philipp Schmitt
          Redakteur im Ressort „Deutschland und die Welt“.

          Die zwei Jahre „Therapie“, die ihm zur Strafe verordnet wurden, waren furchtbar für ihn. Danach hat er sich fast sein ganzes Leben versteckt, wie er sagt. Er hat sich, wie vom „Therapeuten“ gefordert, eine Frau gesucht, sie geheiratet und sogar geschwängert. Nach acht Jahren Ehe kam eine Tochter zur Welt, die bürgerliche Fassade war gewahrt, auch wenn er selbst weiter Männer liebte.

          Schirdewahn, Jahrgang 1947, ist nur einer von Tausenden Männern, die im Nachkriegsdeutschland als „175er“ verfolgt wurden. Sie wurden „straffällig“, weil sie gegen den Paragraphen 175 des Strafgesetzbuchs verstießen, der vor gut 150 Jahren in Kraft trat, bis 1935 auch die „wider­natürliche Unzucht mit Tieren“ verbot und erst 1994 aufgehoben wurde. Zwischenzeitlich wurde er – etwa 1969 – zwar entschärft.

          Diskriminierung von Homosexuellen dauert bis heute an

          Aber Homosexuelle wurden weiterhin im Vergleich zu Heterosexuellen diskriminiert. Das dauert bis heute an, etwa bei dem erst im Jahr 2017 eingeführten Gesetz zur Rehabilitierung der „175er“: Darin werden Verurteilungen wegen einvernehmlicher homo­sexueller Handlungen mit Jugend­lichen zwischen 14 und 16 Jahren nicht rehabilitiert. Diese waren bei Hetero­sexualität auch damals nicht strafbar. Schirdewahn kritisiert das: Damit sei ein Teil des Paragraphen 175 wiederauferstanden.

          Schirdewahn, in Ludwigshafen geboren und aufgewachsen, hat sich spät geoutet. Bis 2016 gab er Interviews nur anonym und ohne Foto. Inzwischen engagiert sich der gelernte Zeichner in seiner Heimatstadt Mannheim für schwule und bisexuelle Senioren, leitet die Gruppe „Gay & Gray“. Gerade für sie ist es noch immer schwer, sich in der Öffentlichkeit als das zu zeigen, was sie sind. Ihre Sorge ist berechtigt, die Zahl der Gewalttaten gegen Frauen und Männer wegen ihrer sexuellen Orientierung steigt an: 2021 gab es an jedem Tag im Schnitt drei Fälle von „Hasskriminalität“, das waren fast 50 Prozent mehr als im Vorjahr.

          An diesem Freitag, dem Tag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau vor 78 Jahren, hält Schirdewahn eine Rede bei der Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus im Bundestag, auch als Symbol dafür, dass die Ver­folgung von Menschen wegen ihrer sexuellen Orientierung nach 1945 andauerte.

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